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Samstag, 5. Oktober 2002

033 | Kurzer Urlaub in Baden // Freiburg und Breisach

Nicht einmal 10 Stunden mit dem Auto und ich befand mich am Tag der deutschen Einheit im Dreiländereck. Wenn schon, denn schon. Im Breisgau bezog ich Quartier. Warum? Weil ich den Schwarzwald genauso einmal erkunden wollte wie das Elsass. Weil ich nach Straßburg wollte und nach Basel. Weil der deutsche Indian Summer im Breisgau am schönsten sein soll, zumal in der Weinlesezeit.
Mein erster Tag gehörte Freiburg. Irgendwo stand was von "Vorhof zum Paradies" und wer dort nicht alles wohnen möchte. Das hätte mich warnen sollen: Menschen über Menschen, selbst für hartgesottene Berliner ein Kulturschock. Von wegen "österreichische Kaffeehauskultur" (Freiburg war Habsburger Exklave), keinen freien Platz gab es. Und in den Puppenstubengässle nur Regen und Bächle. Da konnte mich auch der Hochaltar von Hans Baldung Grien im Münster nicht gerade erbauen. Das gelang vorübergehend nur einer Bauernbratwurst und der "Striebele", einer hiesigen Backspezialität aus Omelettteig. Das Historische Kaufhaus aus dem frühen 16. Jahrhundert war bei dem Wetter keine Sehenswürdigkeit, sondern allenfalls ein Unterstand für mich und meine Bratwurst. Schwerer Dunst hüllte den Turm des Münsters und die Berge dahinter ein. Das also zu Freiburg.
Erst als ich abends in den knackenden Kaminofen starrte und mich einer halben Flasche Spätburgunder aus dem Kaiserstuhl widmete, hatte ich so was wie einen Lichtblick ...
Und der heutige Tag entschädigte vollends: Ich fuhr dahin, wo der Spätburgunder herkam, in den Kaiserstuhl, einem kleinen Gebirge. Vom Umfang mit dem Harz vergleichbar, nur weniger schroff. Statt dessen Weinberge und Straußenwirtschaften, wohin das Auge schweift. Man kann Äpfel, Walnüsse, Elsässer Sauerkraut und in Milchflaschen gefüllten Pflaumensaft bei Kleinerzeugern kaufen. Überall zieren dort Kürbisse die Zufahrten. Und überall bremsten mich Erntefahrzeuge aus. Beladen mit kleinen blauen Trauben in großen Metallbottichen. Da ich kein Ziel hatte, schlich ich ihnen nach.
In einem Dorf war Weinfest. Ich machte mir die Freude und setzte mich in den Saal einer Winzergenossenschaft. Der Ruländer vom "Fass Nr. 7" war vorzüglich. Dazu ein Stück Zwiebelkuchen und Freiburg war vergessen. Selbstverständlich saßen fast ausschließlich Senioren um mich rum, aber das machte nichts. Auf der Bühne spielten 3 Musiker ein gemütliches Feiertagspotpourri, zu dem wie auf Kommando ansatzweise mitgesungen und -geschunkelt wurde: "Trink, trink, Brüderlein trink ..." Na ja, ich musste noch fahren.
In Breisach stieg ich zum Münster hoch, genoss den sonnigen Panoramablick über den Rhein nach Frankreich und fragte mich darauf im Inneren der Kirche, warum die Wandmalereien nicht endlich restauriert werden, schließlich blätterten sie nur noch sandsteinbraun herbstlich vor sich hin. Der Reiseführer aber belehrte mich eines Besseren: sie stammen von einem Herrn Schongauer, sind über 400 Jahre alt, von unschätzbarem kunsthistorischen Wert und natürlich bereits restauriert. Oh, so kann man sich irren. Der Stolz dieses Münsters ist aber ein aus Lindenholz geschnitzter Hochaltar, gerade mal 40 Jahre jünger als die Wandbilder und bei all dem gotischen Zierrat wohltuend ohne Farbanstrich.
Nach diesen neuen Erkenntnissen für das Kurzzeitgedächtnis stieg ich von der überdauernden Gottesburg wieder hinab in die weltlichen Niederungen. In einem Café hinter der großen Rhein-Wehranlage saß ich sonnenbebrillt auf der Terrasse und sah noch einmal nach Frankreich rüber. Wie Goethe einst vom Gotthard nach Italien. Nur ohne Feierlichkeit im Herzen. Woher auch, wenn das Baby der hinter mir sitzenden Sachsen unaufhörlich auf den Tisch klopfte, wie mittlerweile die Leute im Festsaal der Winzergenossenschaft. Und wie sollten sich erhabene Gefühle einstellen, wenn neben der Terrasse jemand begann, den doch noch kurzen Rasen zu mähen? Aber egal. Es war letztlich ein schöner Tag. Wirklich.

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