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Dienstag, 4. Februar 2003

049 | Schlendrian & Crossover

Gestern Vormittag hatte ich Zeit und gönnte mir den Luxus, ziellos durch Berlins Mitte zu schlendern. Details der Ereignislosigkeit fielen mir in die Sinne: die Sonne oben, der Schneematsch unten, ein radfahrender Postbote vorneweg, Müßiggänger wie ich hinterher.
An einem Dönerstand die ersten Kunden. Auf einer Straßenlaterne eine Möwe, keifend, bis das metallene Kurven-Kreischen einer S-Bahn sie sprachlos macht.
Vor elf sind die wenigsten Geschäfte rund um den Hackeschen Markt auf, also gehe ich ins „Barcomi´s Deli“ (Sophienstraße 21, Hinterhof) und setze mich ans Fenster zum Hof.
Die Gäste sind übersichtlich: Zwei Singles, zwei Britinnen – dem Aussehen nach aus London -, zwei Paare, eine Kleinfamilie und eine kleine Gruppe. Alle entspannt, beim späten Frühstück, Zeitungslesen oder Klönen. Sorglosigkeit als unaufdringliches Statussymbol. Leise Jazzmusik und die Solistengeräusche des italienischen Kaffeeautomaten: mal schnurrt er wie ein Filmprojektor, mal heult und röchelt er, bis wieder eine der großen weißen Schalen gefüllt ist. Mit dem leckersten Milchkaffee weit und breit! Der Schaum ist cremig dick und erinnert an Marshmellows. Beim Unterheben des Zuckers marmoriert er beige und hält sich noch, wenn der Kaffee längst weggetrunken ist. Wie Wolken löffle ich diesen Schaum langsam in meinen Mund, während sich Berlins Himmel über dem Hof grau zuzieht. Soll er. Zwischen Himmel und Erde ein an zwei Drahtseilen fixierter Betonzeppelin. Für die darunter Stehenden: Vorsicht Kunst!
Tageszeitungen werden im „Barcomi´s“ liebevoll präpariert. Damit sie sich beim Lesen bändigen lassen, ist der Innenrand heftartig getackert. Überhaupt die Details. Wie das Glas Wasser zum Kaffee. Leider noch immer kein Selbstverständnis in der Hauptstadt.
Die Schlagzeilen des „Tagesspiegels“: „Doppeltes Debakel für Schröder“ – nach dem CDU-Wahlsieg in Hessen. Koch kann allein regieren, neue Süppchen einbrocken oder auslöffeln; Schmalhans bleibt jedoch Küchenmeister. Und ein anderer Meister – diesmal keiner aus Deutschland – wetzt im Orient nicht nur Küchenmesser.
Was noch? „Defekter Hitzeschild führte zum Absturz der Columbia“. Der Betonzeppelin erstarrt zum Mahnmal. Der Himmel bedeckt sich zu Recht.
Gegen Mittag Lokalwechsel. Das erste Mal zu „Monsieur Vuong“, dem „Indochina-Café“ (Eigenwerbung) in der Alten Schönhauser 46. „Vietnamesisches Restaurant“ klingt passender und nicht so kolonialistisch. Aber auch fader. Gut besucht ist es allemal, vielleicht wegen seiner Mischung aus traditioneller Küche, designtem Interieur und untypischer Musik: „Buena Vista Social Club“! Modernität trotz Buddha-Statuen, Räucherstäbchen und Aquarium.
Das Essen ist bei „Monsieur Vuong“ sicherlich gut. Doch weil einmal mehr Warnschilder wie „Vorsicht! Frischer Koriander!“ fehlten, ging mir der Genuss erheblich ab.
Nach so viel mondäner Dekadenz brauchte ich heute Mittag ein Kontrastprogramm. Mit einem Kollegen machte ich eine Mountainbiketour durch den Grunewalder Forst. Zwei Stunden über vereiste Schneisen und Trampelpfade. Bevor die Nase zu laufen begann, atmete ich den würzigen Duft frisch geschlagener Kiefern ein und den Ofenrauch der Waldarbeiter.
Auf den Steigungen des Haveldamms kam ich ordentlich ins Schwitzen, und es tat gut. Nur die Füße wurden immer kälter und sehnten sich nach einem heißen Bad. Wie reizlos erschien da das Gewässer zu meiner Linken. Deshalb zurück.
Auf den Wegen taute es. Jeder Jogger, der mir entgegenkam, erinnerte mich daran, dass ich nach meiner Meniskus-Operation im Dezember keinen Marathon mehr laufen werde. Aber ich kann Sport treiben, also bin ich. Denke ich. Und das ist wieder eine Hauptsache mehr.