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Sonntag, 23. Oktober 2016

171 | Rethymnon

Abreisetag

Welch eine Überraschung: Auch Manolis sitzt vor dem „Ilios“. Er ist bereits wieder aus den Bergen zurück, weil der ausgeliehene Jagdhund, der die Welpen anlernen sollte, nichts taugt. Zumindest nicht zur Hasenjagd. Also noch ein wenig rumflachsen, lecker frühstücken, unverhofft eine Arbeitskollegin treffen ("Mensch, was machst du denn hier?!" - "Dasselbe könnte ich dich auch fragen!"), dann die endgültige Verabschiedung.

Andere anwesende Stammgäste müssen ebenfalls zurück in die Heimat. So empfindet selbst Susanne, die das ständige Kommen und Gehen gewohnt sein müsste, diese Mittagsstunde als wehmütig. 
Da wir erst abends von Heraklion aus fliegen, haben wir noch Zeit, uns im Norden die Hafenstadt Rethymnon anzusehen. Mit der oberhalb gelegenen venezianischen Festungsanlage, der Fortezza, mit dem Leuchtturm, mit den Minaretten aus der Türkenzeit.
Alles sehr romantisch; aber die Stadt ist nicht unsere. Sie ist touristisch überlaufen und die Türsteher vor den Restaurants bitten einen aufdringlich, Platz zu nehmen. Damit gleicht der gemütliche Rundgang am venezianischen Hafen mehr einem Spießrutenlauf. In Agia Galini war uns dergleichen niemals passiert.
Viele Besucher sind auffallend jung und stylisch, was mit Rethymnon als Standort der Universität Kreta zu tun haben mag. Wer sich nicht gerade in der Sonnenbrille seines Gegenübers spiegelt, ist wie überall mit dem Handy beschäftigt. Wie fast überall: Ich muss an zwei deutsche Mädchen aus Agia Galini denken, die allabendlich mit einer Katzenmutter und ihren Jungen beschäftigt waren. Die beiden vielleicht Dreizehnjährigen hatten alles, was sie brauchten. Genau wie die herumtollenden einheimischen Kinder.
Selbst die Geschäfte in Rethymnons Einkaufsstraßen sind nicht unser Fall. Alles ist auf Hochglanz poliert und der Rest kretischen Flairs längst verhökert.
Im Yachthafen entdecken wir zwei Hochseeangler, die ihre kapitalen Maifische ausnehmen und schuppen.

Dann fährt ein riesiger Amischlitten zu einem der Piraten-Eventschiffe vor, als würde „der Pate“ „Captain Hook“ ein Angebot machen wollen.
Und kurz darauf, auf dem Rückweg zum Auto, hören wir erstmalig eine Zikade zirpen.
Der Flughafen von Heraklion ist wie immer ein Alptraum: Durchsagen sind kaum zu verstehen. Überall wartende, wie eingepfercht wirkende Urlauber und keine Möglichkeit, etwas halbwegs Vernünftiges zu essen. Mit dem Geheul überforderter Kleinkinder (auch beim Platznehmen im Flieger), verpufft vorläufig sämtlicher Erholungseffekt. Das Beste wäre, auf der Stelle nach Agia Galini zurückzukehren. So aber landen wir halbwegs pünktlich im dunklen, zwanzig Grad kälteren Berlin, wo zwei Ordnungskräfte uns darauf hinweisen, das Flughafengebäude nur über den Zebrastreifenweg zu betreten. - Auf Kreta sahen wir lediglich einmal Polizisten, aber das Leben verlief dennoch in geordneten Bahnen. Weil kretische Menschen mehr ihren Instinkten als den Gesetzen vertrauen. Liebe Susanne, du hast wohl alles richtig gemacht!

Samstag, 22. Oktober 2016

170 | Hinter Triopetra

7. Tag

Heute wird wieder im „Ilios“ gefrühstückt. Susanne bereitet uns Eier und einen appetitlichen Gemüseteller zu. Dazu gibt es Kaffee und Orangensaft.
Mittags fahren wir zum Triopetra-Strand, der nach drei im Wasser stehenden Felsen benannt ist. Zwei Kilometer weiter lassen wir uns in einer einsamen Bucht nieder.
Die Sonne ist angenehm warm, der Wind unbeschwert leicht. Hinter uns drehen zwei Adler  über dem Berg ihre Runden, vor uns plätschert das Libysche Meer gegen die Küste. Die nächsten Menschen sind in weiter Ferne. Lesen, dösen - einfach perfekt.
Perfekt auch das Tauchen über felsigem Meeresboden. Überall sehe ich Fische. Dann ein kleiner Schock: eine armlange Muräne zwischen zwei Steinen kurz vor mir. Braun gesprenkelt und entschlossen, ihr Versteck verlassen zu wollen. In meine Richtung! Erst tauche ich rückwärts, dann wird geschwommen, als hätten Haie Kurs auf den Strand genommen. Na gut, so schlimm nun auch nicht.
Als ich das Wasser verlasse, kommt mir meine Freundin entgegen. Auch sie etwas panisch, da sich ein dicker, bärtiger Grieche eilig unserem Lager genähert, sie angeglotzt und sich umgesehen hatte, ob sie alleine sei. Dass sie das nicht ist, erkennt er nun hoffentlich. Er badet, um sein bärtiges Gesicht zu wahren und verschwindet kurz darauf Richtung Holperstraße. Besser ist das.
Am Spätnachmittag wird noch etwas trockenes Deko-Schwemmholz gesammelt; dann fahren wir unter einem zwischen den Bergen hängenden Wolkenfeld zurück.
An unserem letzten Abend gönnen wir uns Thunfisch im „Onar“, bevor wir im „Ilios“ einkehren.
Susanne und Manolis sitzen bei Stammgästen aus Baden, die ebenfalls ihren letzten Abend genießen. Und da Susanne sich nicht zerteilen kann, bittet sie uns, mit an dem Tisch Platz zu nehmen.
Ich berichte Manolis von meinem Muränen-Abenteuer, doch er winkt ab und hält sie für ein „Baby“. Weil Fische durch Taucherbrillen immer größer aussähen.
„No, no, no“, sage ich augenzwinkernd, „she was five or ten meters long!“
Gegen zehn verabschieden wir ihn mit Umarmung. Er muss ins Bett. Morgen früh will er in die Berge aufbrechen, um Wildhasen zu jagen. Wie gerne würde ich ihn dabei begleiten, statt ins kalte Deutschland zurückzukehren. In einem Jahr, sage ich, komme ich mit meinen Jungs wieder. Er nickt und meint mit schelmischem Seitenblick auf meine Freundin, dass wir dann nicht nur angeln gingen. Wir träfen uns auch mit russischen Frauen, mit „Olga“ und „Tamara“. „Drink champagne, eating fruit ...“ Welch ein Schlitzohr! Fehlt bloß noch, dass er das Meersalz, welches er uns in einer Plastiktüte verpackt schenkt, als zu schmuggelndes Drogenpäckchen bezeichnet.
Von Susanne verabschieden wir uns erst gegen Mitternacht. Sie werden wir immerhin morgen wieder zum Frühstück sehen.

Freitag, 21. Oktober 2016

169 | Arkadi und Margarites

6. Tag

Nach einem Frühstück am Hafen, das satt, aber nicht glücklich macht, fahren wir nach Norden, zum Kloster Arkadi.
Die berühmte, heute mönchslose Anlage, die ich 1992 schon besuchte, stammt aus dem Mittelalter. Vor genau 150 Jahren hatten 300 griechische Widerstandskämpfer gegen die türkischen Besatzer Kretas mit 700 Frauen und Kindern bei den Mönchen Schutz gesucht.
Nachdem die Türken Arkadi belagert und am 9. November gestürmt hatten, gab der Abt den Befehl, das Pulvermagazin zu sprengen.
Dabei kamen Hunderte Kreter und Türken ums Leben. Einige Opferschädel sowie die Locke einer aus den Trümmern gezogenen Frau kann man bis heute besichtigen.




Nach einem Rundgang unter bedecktem Himmel fahren wir weiter nach Margarites, einem Bergdorf, in dem traditionell getöpfert wird.
Neben den offenen Ateliers gibt es hier viele romantisch anmutende Häuserruinen.
Häufig mit halb herausragenden Lochsteinen neben den Eingängen, wo früher Esel festgebunden wurden.
Als wir in einer Taverne Rast machen, entdecke ich das Renaissanceportal der Arkadi-Klosterkirche in einer Tageszeitung.
Aber auch etwas anderes: einen Destillierapparat für Raki (hier „Radschi“ ausgesprochen) gleich hinter der Terrasse.
Gekühlt und gefiltert läuft das böse Zeug in einen metallenen Auffangbehälter. Probieren wollen wir es der Serpentinen wegen besser nicht.
Zurück in Agia Galini gehen wir ins „Ilios“, wo uns die Stammgäste mittlerweile zunicken. Moni war tatsächlich mit draußen zum Angeln und zeigt uns die Fotos. Manolis, der wieder nicht viel fing, zeigt uns die Fische, von denen er uns die besten zubereitet.


Frischer geht es nicht. Nach dem Essen setzt er sich zu uns, raucht, trinkt eine Flasche „Mythos“-Bier und  verspricht, mich und meine Söhne nächstes Jahr zum Angeln mitzunehmen. Geld nahm er von Moni dafür übrigens keines. Er tat es einfach so.
Susanne meint, dass sie früher doch oft mit ihm rausgefahren sei. Aber jetzt fehle einfach die Zeit. Morgens stehe sie um sechs auf, öffne um neun das Kafenoin und gehe um zehn schlafen. Alltag auf Kreta. Und wenn die Saison zu Ende ist, fliege sie für sechs Wochen nach Deutschland. Manolis nur für zwei. Er findet die „german people“ zwar netter als die Kreter, aber ihm sei ohne Jagen und Fischen einfach zu langweilig. Das verstehen wir.
Als wir aufbrechen, ist es wieder spät geworden. Vielleicht, weil die Zeit im „Ilios“ schneller vergeht. Vielleicht auch, weil Zeit dort keine Rolle zu spielen scheint.

Donnerstag, 20. Oktober 2016

168 | Am Steinstrand


5. Tag

Die Wolken sind von den Bergen verschwunden, der Wind hat abgeflaut. Wir frühstücken wieder spät, diesmal auf dem Balkon. Anschließend bummeln wir zum Hafen, wo ein Fischer einen Octopus ausschlägt, damit er später nicht zäh schmeckt.

Vor den Fischerbooten liegen Netzballen, das Wasser des Hafenbeckens ist sauber, blau und klar.

Ganz hinten an der Mole liegt die „Zahra“ vertäut.
Manolis zufolge ein libysches Flüchtlingsboot, das hier seit mindestens zwei Jahren vor sich hinrostet.
Wir machen Handyfotos, schlendern weiter durch Gassen und Geschäfte, betreiben Sozialstudien und entschließen uns, baden zu fahren.
Es geht zum „Steinstrand“, einem fast leeren Küstenstreifen bei Triopetra, wo Daniela Mayer, eine Lebens- und Sozialberaterin, vom Meer abgeschliffene Steine aufgeschichtet hat. Zu Haufen, Türmchen oder einem Selbstfindungs-Labyrinth.


Jetzt sei Daniela aber in Deutschland, hatte Susanne gewusst.
Da es hier doch wieder weht, suchen wir uns weiter hinten ein geschützt aussehendes Plätzchen unter einem Felsenvorsprung.
Doch der Wind ist so stark, dass wir Steine auf unsere Badetücher legen müssen, damit sie nicht wegfliegen. Auch auf die Bücher, die sich nur mit Taucherbrille lesen ließen. Also Augen zu, Kopf runter und sich peelen lassen. Oder baden gehen, oder ganz abtauchen. Aber am geriffelten Meeresboden ist nichts los. Kein Fisch, kein Stein, kein gar nix.
Als unsere Wasserflasche halb leer und lauwarm ist und unsere Haare voller Sand, machen wir uns auf den Rückweg. Dabei nehmen wir drei, vier hübsche, handliche Steine mit - Erinnerungshilfen für die Nachurlaubszeit.
Abends gönnen wir uns Schwertfisch im „Onar“. Eine hochgewachsene Frau tritt neben unserem Tisch an die Terrassenbrüstung und versucht mit ihrem IPhone das in Dunkelheit gehüllte Hafenpanorama einzufangen.
„Sie müssen den Blitz ausmachen!“, belehrt sie ein nebenan sitzender Deutscher und hält ungebeten einen Vortrag über begrenzte Reichweite, LED und Nachtautomatik.
Der großen Frau ist das sichtlich unangenehm. Aber sie nickt höflich, sagt „Ah!“ und „Danke.“ Dann fotografiert sie weiter. Mit Blitz.
Nach dem Essen gehen wir auf einen halben Liter Weißwein zum „Ilios“. In einer Terrassenecke sitzend streicheln wir Felix und Laika, die süßen Welpen,
fragen Susanne nach Stränden aus und reden mit Manolis übers Fischen. Früher, sagt er, hat er kiloweise gefangen und eingefroren. Aber jetzt? Aus dem Meer sei immer weniger zu holen. Ich versuche, ihn mir da draußen vorzustellen und frage, ob er Hemingways „The Old Man and the Sea“ kenne, weil ich glaube, dass ihm die Novelle gefallen könnte. Doch er kennt es nicht, und er hat es auch nicht so mit Büchern. Dafür sei Susanne zuständig, sagt er. Ob sie ihn denn schon mal zum Angeln begleitet habe, frage ich weiter. Manolis schüttelt den Kopf. Weil Angeln zu seinem Zuständigkeitsbereich gehört, vermute ich.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

167 | Zaros


4. Tag

Seit der Nacht ist es ordentlich windig. Am Vormittag wird bei Sonnenschein das Meer aufgewühlt und die Gischt großflächig verteilt. „Blowin´ in the wind“ eben. Wir frühstücken spät bei Susanne und Manolis und fahren anschließend nach Zaros, um durch die Rouvas-Schlucht zu wandern.
Auf den Bergen liegen zuckerwattige Wolken, die sich vom Nordwind nicht wegschieben lassen. Nach einer Stunde Fahrzeit geht es zu Fuß an einer Wassermühle und einer Fischzucht vorbei.
Forellen, Karpfen, sogar zwei Störe drehen in relativ kleinen Bassins ihre Runden. Weiter oben der Votomos-See (mit mehr Platz für die Fische), dahinter ein Aufstieg, dem zuweilen das Holzgeländer fehlt. Trotz des Windes riecht es nach Ziegen und harzigen Wildkräutern. Als hätte hier ein Mátala-Jünger Hanf angebaut. Schon zeigen sich die gehörnten Klettermeister und knabbern neben uns an Zwergsträuchern herum.
Laut Reiseführer müsste bald das Agios-Nikolaos-Kloster auftauchen. Ah, da ist es!
Aber kurz darauf verlieren wir den Weg, der uns zur Schlucht führen soll, mangels Beschilderung aus den Augen. Doch das macht nichts. Zu entdecken gibt es auch abseitig ausgetretener Pfade genug. Als da wären:
eine halb zerstörte Brücke (die wir mutig überqueren),
die Ruine eines Brunnenschachts (mit Sickerwasser an der Seite), eine Bauruine (die wir unerlaubt betreten und eine schlafende Fledermaus entdecken),
den Stamm eines uralten Olivenbaumes,
die grünen Früchte eines Zitrusbaumes
und einen, nun ja, einheimischen Althippie, der herumliegende Walnüsse einsammelt, sie mit einem Stein aufknackt und wegfuttert.
Wir tun es ihm nach, preisen die Nüsse, die Insel und das Leben mit seinen verschlungenen Wegen. Auf so einem entdeckten wir hinter Agia Galini heute früh bereits ein riesiges Krokodil, das da einfach so in der Landschaft herumlag.
Auf der Rücktour ist aus dem Wind fast Sturm geworden. Aber noch immer hängen die Wolken auf den Bergen fest. Am Straßenrand plötzlich ein Hund. Ich fahre langsamer und gehe schließlich auf die Bremse, weil der Streuner vor die Motorhaube läuft, zu bellen beginnt und - während ich vorsichtig weiterfahre - versucht, in die Reifen zu beißen. Wer weiß, was er mit PKWs schon erlebt hat.
Für den Abend haben wir im „Ilios“ reserviert, um Manolis Zicklein-Stifado zu essen. Davor gibt es wieder Antipasti von Susanne, anschließend Raki und Gespräche bis Mitternacht. Mit Manolis, einer Moni aus Deutschland und den spät hereinschneienden Frankfurtern. Wenn der Wind nachgelassen hat, sagt Moni, will sie in den nächsten Tagen Manolis zum Fischen begleiten.
„No Problem“, meint er grinsend, „bring einfach Weintrauben und Champagner mit.“ Dann lässt er uns in der Küche an zwei Plastikeimern voll selbst gesammelter Trockenkräuter riechen: Oregano und Thymian. Welch ein Duft! Und wir probieren von Manolis in Salzlake eingelegten Oliven. Die mild schmeckenden Ölfrüchte stammen alle von seinen eigenen Bäumen. Wobei einige bei dem großen Feuer im August etwas abbekamen.
Wir erzählen Manolis, dass wir heute in einem Olivenhain schon mal vorgekostet hatten und verziehen die Gesichter: „Very - was heißt ,bitter‘ auf englisch?“
Er versteht und schüttelt den Kopf. „To bitter!“
Dann ist es Zeit zu gehen. Mit leichten Ausfallschritten, aber glücklichen Gesichtern.

Dienstag, 18. Oktober 2016

166 | Mátala


3. Tag

Im Autoradio kretische Dudelmusik schlängeln wir uns an Terrakotta-Bergen vorbei Mátala entgegen. An den Hängen verkohlte Bäume und Sträucher von einem großflächigen Brand im August. Siebenundzwanzig Feuerwehren waren deswegen ausgerückt, Badegäste mussten mit Booten evakuiert werden. Personen oder Häuser kamen aber nicht zu Schaden.
Vor Mátala ein Friedhof. „Traumfabrik“ steht auf einem Schild. So so. Darunter ein Pfeil, der Richtung Eingang zeigt.
Wir folgen ihm und sehen uns ein wenig auf dem Friedhof um. Fast alle Betoneinfassungen für die Särge sind mit weißem Marmor verziert. Dabei beträgt die Liegezeit hier oft nicht mehr als fünf Jahre. Die Bilder der Toten zeigen alte Männer mit Schnurrbärten, gesetzte Frauen mit Kopftuch, aber auch junge Gesichter. Neben den gerahmten Fotos stehen in kleinen glasgeschützten Nischen Öllämpchen und Ölflaschen zum Nachfüllen.
Auf zwei Marmorsarkophagen die dunklen Namensschriftzüge deutscher Frauen. Aussteigerinnen vielleicht wie Susanne aus Agia Galini. Die eine starb noch in diesem Jahr, nachdem sie das Rentenalter gerade so erreicht hatte.
In Mátala parken wir auf dem Zeltplatz, wo ich vierundzwanzig Jahre zuvor ein paar lustige Tage verbracht hatte. Er befindet sich gleich hinter dem Strand.
Viel ist hier jetzt nicht mehr los. Statt Camper und Zikaden nur Staub und Leere unter den kleinen Bäumchen. Und die berühmten Felsenhöhlen nebenan, in die sich in den Sechzigern und Siebzigern Hippies eingenistet hatten, um ihren Traum von Freiheit zu leben, sind umzäunt und nur gegen 2,-€ Eintritt zu besichtigen.
„The times they are a-changin´“, sang Bob Dylan, der auch hier war - die Zeiten ändern sich. Genau wie er: Aus jung wird alt, aus Folk Folklore und aus Protestsongs Schweigen über den ihm zugedachten Nobelpreis.
Mátala ist ebenfalls alt geworden. Genau wie seine Besucher. Nur das Meer bleibt wohl ewig jung. Und das „Blowin´ in the wind“ der Fragen.
Unter den Bars steht in Großbuchstaben TODAY IS LIFE - TOMORROW NEVER COMES an der Strandmauer. Mit aufgemalten Blumen. Wohl um Touristen auf der vergeblichen Suche nach ihrer Jugend wieder aufzubauen.
Doch ich weiß nicht so recht, was ich von den zurückgekehrten Althippies halten soll, die zwischen den Bars selbstvergessen lesen, Flöte spielen und Lederzeug verkaufen. Sie strahlen gleichermaßen Würde und Lächerlichkeit aus, Tragik und Komik.
„Komm!“, sagt meine Freundin, weil es Zeit wird, in einer der Tavernen mit Piraten-Style und Meeresblick etwas Kaltes zu trinken. Auf der Karte eine polynesische Transe mit Joint, aus den Lautsprechern Reggae-Musik von Marley.
Die Bedienung ist entspannt. „Relaxt“, sagt der hinter mir sitzende Herr und spricht von „Marihuana-Kondomen“ auf der Toilette. Keine Ahnung, was er damit meint.
Ich genieße Cola auf Eis und überblicke die beengende Bucht von Mátala, wo der Ausverkauf verblasster Träume stattfindet. Und ich habe das dringende Bedürfnis, wieder wegzufahren. Dabei muss es hier tatsächlich einmal paradiesisch gewesen sein, in dem ewigen Sommer vor meiner Zeit. Polynesien, bevor die Europäer kamen und alles verdarben. Meiner Freundin ist Mátala auch zu abgeranzt. Also trinken wir aus und gehen zum Auto zurück.
Der Strand von Komos liegt nur ein paar Fahrminuten weiter weg und ist nicht so überlaufen. Beim Tauchen im flach abfallenden Wasser entdecke ich grilltaugliche Brandbrassen und einen winzigen Rochen, der links und rechts von zwei kleinen Seezungen bedrängt wird. Rein freundschaftlich, wie mir scheint. Love, Peace and Happiness statt fressen und gefressen werden. Und wer weiß, vielleicht haben die drei Plattfische da unten auch was am Laufen.
Zurück in Agia Galini lassen wir den Tag wieder auf dem Balkon ausklingen. Mit Haselnüssen, Oliven und Bier. Wir beobachten die heimkehrenden Fischerboote auf dem wie Teer glänzenden Meer und den aufsteigenden Mond. Er ist immer noch voll, obwohl der Erdschatten ihm bereits eine Delle verpasst hat. Aber so, denke ich, ist er mir wahrscheinlich am liebsten.