3. Tag
Im Autoradio kretische Dudelmusik schlängeln wir uns an Terrakotta-Bergen vorbei Mátala entgegen. An den Hängen verkohlte Bäume und Sträucher von einem großflächigen Brand im August. Siebenundzwanzig Feuerwehren waren deswegen ausgerückt, Badegäste mussten mit Booten evakuiert werden. Personen oder Häuser kamen aber nicht zu Schaden.
Vor Mátala ein Friedhof. „Traumfabrik“ steht auf einem Schild. So so. Darunter ein Pfeil, der Richtung Eingang zeigt.
Wir folgen ihm und sehen uns ein wenig auf dem Friedhof um. Fast alle Betoneinfassungen für die Särge sind mit weißem Marmor verziert. Dabei beträgt die Liegezeit hier oft nicht mehr als fünf Jahre. Die Bilder der Toten zeigen alte Männer mit Schnurrbärten, gesetzte Frauen mit Kopftuch, aber auch junge Gesichter. Neben den gerahmten Fotos stehen in kleinen glasgeschützten Nischen Öllämpchen und Ölflaschen zum Nachfüllen.
Auf zwei Marmorsarkophagen die dunklen Namensschriftzüge deutscher Frauen. Aussteigerinnen vielleicht wie Susanne aus Agia Galini. Die eine starb noch in diesem Jahr, nachdem sie das Rentenalter gerade so erreicht hatte.
In Mátala parken wir auf dem Zeltplatz, wo ich vierundzwanzig Jahre zuvor ein paar lustige Tage verbracht hatte. Er befindet sich gleich hinter dem Strand.
Viel ist hier jetzt nicht mehr los. Statt Camper und Zikaden nur Staub und Leere unter den kleinen Bäumchen. Und die berühmten Felsenhöhlen nebenan, in die sich in den Sechzigern und Siebzigern Hippies eingenistet hatten, um ihren Traum von Freiheit zu leben, sind umzäunt und nur gegen 2,-€ Eintritt zu besichtigen.
„The times they are a-changin´“, sang Bob Dylan, der auch hier war - die Zeiten ändern sich. Genau wie er: Aus jung wird alt, aus Folk Folklore und aus Protestsongs Schweigen über den ihm zugedachten Nobelpreis.
Mátala ist ebenfalls alt geworden. Genau wie seine Besucher. Nur das Meer bleibt wohl ewig jung. Und das „Blowin´ in the wind“ der Fragen.
Unter den Bars steht in Großbuchstaben TODAY IS LIFE - TOMORROW NEVER COMES an der Strandmauer. Mit aufgemalten Blumen. Wohl um Touristen auf der vergeblichen Suche nach ihrer Jugend wieder aufzubauen.
Doch ich weiß nicht so recht, was ich von den zurückgekehrten Althippies halten soll, die zwischen den Bars selbstvergessen lesen, Flöte spielen und Lederzeug verkaufen. Sie strahlen gleichermaßen Würde und Lächerlichkeit aus, Tragik und Komik.
„Komm!“, sagt meine Freundin, weil es Zeit wird, in einer der Tavernen mit Piraten-Style und Meeresblick etwas Kaltes zu trinken. Auf der Karte eine polynesische Transe mit Joint, aus den Lautsprechern Reggae-Musik von Marley.
Die Bedienung ist entspannt. „Relaxt“, sagt der hinter mir sitzende Herr und spricht von „Marihuana-Kondomen“ auf der Toilette. Keine Ahnung, was er damit meint.
Ich genieße Cola auf Eis und überblicke die beengende Bucht von Mátala, wo der Ausverkauf verblasster Träume stattfindet. Und ich habe das dringende Bedürfnis, wieder wegzufahren. Dabei muss es hier tatsächlich einmal paradiesisch gewesen sein, in dem ewigen Sommer vor meiner Zeit. Polynesien, bevor die Europäer kamen und alles verdarben. Meiner Freundin ist Mátala auch zu abgeranzt. Also trinken wir aus und gehen zum Auto zurück.
Der Strand von Komos liegt nur ein paar Fahrminuten weiter weg und ist nicht so überlaufen. Beim Tauchen im flach abfallenden Wasser entdecke ich grilltaugliche Brandbrassen und einen winzigen Rochen, der links und rechts von zwei kleinen Seezungen bedrängt wird. Rein freundschaftlich, wie mir scheint. Love, Peace and Happiness statt fressen und gefressen werden. Und wer weiß, vielleicht haben die drei Plattfische da unten auch was am Laufen.
Zurück in Agia Galini lassen wir den Tag wieder auf dem Balkon ausklingen. Mit Haselnüssen, Oliven und Bier. Wir beobachten die heimkehrenden Fischerboote auf dem wie Teer glänzenden Meer und den aufsteigenden Mond. Er ist immer noch voll, obwohl der Erdschatten ihm bereits eine Delle verpasst hat. Aber so, denke ich, ist er mir wahrscheinlich am liebsten.
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