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Freitag, 9. Februar 2007

084 | Abfahrt & Sushi


Schon am gestrigen Abend rauschten die Wellen ordentlich aufs Ufer. Wenn man sie nur hört und nicht sieht, hat es was Bedrückendes. So eine Art Post-Tsunami-Syndrom.
Auf der Binzer Seebrücke, die ich wenigstens einmal betreten wollte und wohin sonst mein erster Weg führte, wollten die Fotos wegen der steifen Schneebrise schnell gemacht sein. Nur die Möwen hatten ihren Spaß und lachten alle Kapuzenträger aus.

Wieder im Berliner Umland ging ich in „meinen“ Stahnsdorfer Sushi-Laden, wo die Misosuppe mit Butterfisch sogar besser schmeckt als die Fischsuppen, die ich auf Rügen bekam. Der edle Fisch als Einlage wird nämlich stets überschätzt. Das Geheimnis ist der intensiv schmeckende Fischsud. Danach gab es ein paar California Rolls – hmm, lecker!
Schade ist nur, dass der kleine Sushi-Laden trotz hervorragender Qualität, stilvollen Ambientes und sehr netten 33-jährigen Besitzers nach einem halben Jahr immer noch ein Schattendasein fristet, weil er zu unbekannt ist. Wer durch Stahnsdorf fährt, sollte unbedingt einkehren:

“Sencha Tee & Sushi”, Dienstag bis Sonntag 12 bis 22 Uhr, Kastanienweg 36 in Stahnsdorf, 03329/69 68 10, www.sushi-in-stahnsdorf.de.

Donnerstag, 8. Februar 2007

083 | Vor Liddow

Eigentlich sagte mir das Wetter: Junge, bleib, wo du bist, lies dein Buch weiter oder schlaf dich endlich mal aus! Keine schlechte Idee, das mit dem Ausschlafen. Denn jeden Morgen bin ich gegen 6.00 wach. Jeden. Dafür knick´ ich abends beizeiten ein. Ja, ich hätte aufs Wetter hören sollen. Aber ich wollte Fotos machen, mein Buch nahm ich trotzdem mit.
Ich hatte vor, „zum abgeschiedensten und schönsten Winkel Rügens“, dem „Liddower Haken“ zu fahren.
In Patzig sollte ein „Mühlenmuseum“ sein. Vielleicht ein Motiv, dachte ich. Aber zuerst gab es eine umständliche Umleitung mit Traktor- und Feldwegen. Unterwegs hielt ich am bronzezeitlichen Hügelgräberfeld der Woorker Berge. Hm. Reingucken müsste man können. Aber so ... Viele Wolken, viel kalter Wind, kein reizvolles Motiv. In Patzig: kein Hinweis auf ein Mühlenmuseum, nur die Gaststätte „Zur Mühle“. Den Ehrgeiz, mich durchzufragen, hatte ich nicht. So wichtig war mir das Ganze kaum. Wen hätte ich auch fragen können? Keine Einheimischen, keine Touristen. Abgeschieden, wie gesagt. Also weiter über Rappin zum Großen Jasmunder Bodden, weiter nach Liddow, zum Wasser. Dann der Feldweg. Mit großen Pfützen. Eine war so breit, dass ich über den Acker ausweichen musste. Und mich dabei festfuhr. Das erste Mal, total dämlich.
Ich überlegte, ob ich mit Pfadfindertricks was erreichen könnte, aber da hätte ich mich schon wieder eingesaut. Also den ADAC rufen, selbst auf die Gefahr hin, dass ich ausgelacht werde.
Dann saß ich eine Stunde im Auto und wartete. Links ein Acker, rechts ein Acker. Hier ein Hügelgrab, da eine Baumgruppe, wohin sich einige Rehe vor dem kalten Wind in Sicherheit brachten. Und ich mitten drin. Über mir brodelten die Wolken, um mich zischte das Wetter: Siehste, Junge, hättste mal auf mich gehört.
Na wenigstens hatte ich mein Buch dabei: Sven Regeners Herr-Lehmann-Nachfolger „Neue Vahr Süd“. Schön dick und unterhaltsam der Roman; und Zeit hatte ich ja nun.
Nachdem ich wieder mobil war, reinigte ich mein Auto in Bergen und gönnte mir später einen Sauna-Besuch und anschließend eine mit Schrimps gefüllte Scholle.

Mittwoch, 7. Februar 2007

082 | Groß Zicker/Mönchgut



Der dritte Tag sollte gemächlich werden. Trotz des anfangs unbeständigen Wetters beschloss ich, mich mit dem Auto und Fotoapparat auf Motivsuche zu begeben. Ich fuhr aufs Mönchgut nach Groß Zicker. Im Winter ist es ein idyllisches Fischerdorf mit auf Eis gelegten Heringen vor der Anlegestelle. Die reetgedeckten Katen deuten aber auf den Sommer mit weitaus besseren Einnahmequellen: Touristen.



Nun gut, ich bin schließlich auch einer.
Ein besonderer Hingucker und Hingeher ist die Dorfkirche von 1360. Die befindet sich mit umsäumenden alten Grabstellen neben dem Hotel und Fischrestaurant „Boddenblick“. Dort lässt sich auch leckerer Fisch essen, vor allem aber – wenn man aus der Kälte kommt – warmer Apfel- oder Pflaumenkuchen. Von der Oma mit „gouder Budder“ gebacken. Dazu eine heiße Schokolade, was will man mehr.
„Ist aber ein hübscher Ort“, sagte ich zur jungen, stämmigen Bedienung. Könne sein, erwiderte sie trocken, aber sie sei noch nie im Ort gewesen. Das ließ mich stutzen. Laut Autokennzeichen (es stand nur ein Kleinwagen vor dem Haus) musste sie aus der Müritz-Gegend kommen. Doch sie sprach die Zuckerbäckerin beim Betreten der Küche immer mit „Oma“ an, manchmal so laut, dass die Handvoll Gäste ihren Spaß hatte: „Oma! Ich soll dir für den Kuchen ein Kompliment machen!“ Wie in dieser alten Werbung mit Hella von Sinnen: „Ernaa!! Was kosten die Kondomäää?!!!“
Na und wenn das ihre Oma war, wenn die in Groß Zicker sogar wohnte, warum kennt sich die Enkelin in dem vielleicht 100-Seelen-Nest nicht aus? Und warum muss sich der Gast wie an einer Tankstelle den Schlüssel für die Toilette geben lassen? So viele Nichtgäste mit unerledigter Notdurft liefen nun wirklich nicht in Groß Zicker rum. Aber trotz dieser „regionalen Besonderheiten“ war es im „Boddenblick“ wie im Ort sehr „püschelig“, wie eine Hamburger Freundin gesagt hätte.





Das „Pfarrwitwenhaus“ von 1723 ist mit seinem zipfelmützenartigen Rohrdach natürlich „das Postkartenmotiv“. In dem Haus aus Holz und Lehm kamen einst mittellose Pfarrwitwen unter. Und bis 1984 wurde die Kate noch bewohnt, bevor man ein Museum daraus machte, um den Touristen etwas zu bieten.
Wer zuletzt hier lebte, würde mich natürlich interessieren. Vielleicht eine in die einsamen Jahre gekommene Seemannsbraut.

Unweit vom Pfarrwitwenhaus bündelte und schnürte ein Mann bei Sonnenschein Binsen für die Reetdächer. Aus seinem daneben stehenden offenen Auto sang Cat Stevens „Lady D'Arbanville “. Der Mann drehte lauter, was mir gefiel; weil es zur Stimmung passte und weil ich das sentimentale Lied schon immer mochte. Backsteinwände wurden von Baumschatten gestützt, von den moosigen Schilfdächern tropfte getauter Schnee.



Auf dem Rückweg machte ich Sonnenuntergangsaufnahmen zwischen Lobbe und Middelhagen: das letzte von 18 Windrädern, mit dem früher für die Landwirtschaft Wasser aus dem sumpfigen Boden gepumppt wurde, zwei nebelumwallte Hünengräber bei Lancken-Granitz, Rehe in der Dämmerung. Aus ferner Nähe vernahm ich das Eisenbahnsignal des „Rasenden Rolands“.



Aber ist schon komisch: Vor Ort spürt man oft die Magie einer Landschaft, das, was Caspar David Friedrich festgehalten hat, aber wenn man sich die Bilder am Rechner ansieht, wirkt vieles nur hübsch oder gar kitschig.

Den Abend beschloss ich in Binz in der „Brasserie Villa Salve“. Zwischen dem 2:0 und 3:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Schweiz machte ich mich über Dorsch mit Rosmarienkruste und Weißburgunder her.

„Mönch am Meer“ (nach C. D. Friedrich)

Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ ...
Das Bild ist bekannt, es hängt in Berlin.
Doch was ist, Mönsch, mit ihm?
Was denkt er, wo steht er genau und wo kam er her?

Vom Mönchgut auf Rügen stammte er.
Und täglich sah er von Klein Zicker aus
Nach Groß Zicker, zum Pfarrwitwenhaus
Verliebt übers zickersche Meer, der Herr.

Die Pfarrwitwe wusste unterdessen
Nichts von seinen Avancen.
So verblühte sie wie seine Chancen
Und verlegte sich aufs Heringsessen.

Der Mönch wurde von Friedrich skizziert,
Als Kummeraal am Strand von Klein Zicker.
Die Witwe wurde alt und vom Hering dicker,
nur nicht von ihm, nix ist passiert.

Ach doch: Die Witwe starb recht adipös;
Man setzte sie dem selgen Pfarrer bei.
Das Pfarrwitwenhaus stand nun wieder frei
Für die nächste Großzicke ohne Erlös.

Der Mönch ward drum gottlos, aber gewillt
Den Strand zu verlassen. Noch etwas blasser
Betrat er recht malerisch zickersches Wasser
Und trieb bald aus dem romantischen Bild.

Dienstag, 6. Februar 2007

081 | Binz und Sellin

Nach einem ausgedehnten Frühstück wollte ich an den Strand. Es war wie immer: sanfte Wellen, Möwen und Kapuzenpaare mit archaischer Sammelleidenschaft. Die Frauen waren, wie so oft, die Aktiveren. Alles Kunsterzieherinnen, dachte ich. Einige hatten sich auf glattgelutschtes Treibholz spezialisiert, andere wollten nur was für die Jackentasche: Muscheln und was sie für Bernstein hielten. Was eine dieser Kapuzinerinnen allerdings mit dem feuchten Muschelsand vorhatte, den sie in eine Plastiktüte schaufelte, bleibt mir ein Rätsel.



Schnell war ich am südlichen Strand angelangt, wo ein unterirdischer Flusslauf über 885 m vom Schmachter See in die Ostsee fließt. Dort befindet sich auch die futoristische Rettungsstation des Binzer Architekten Ulrich Müther, der auch den „Teepott“ in Warnemünde entworfen hat. Die Rettungsstation (1968 gebaut, 2004 saniert) ist so rundlich wie ein auf die Seite gelegtes Ei. Und sie sieht aus wie ein Sandmann-UFO aus dem Filmstudio Babelsberg. Ein tolles Fotomotiv in Weiß, wenn vereinzelte Moos-Spuren wegretuschiert werden.

Die ganze Zeit über war nasser Schnee gefallen und hatte inzwischen meine Mütze aufgeweicht. Dann kann ich auch weitergehen, dachte ich. Immer am Wasser lang, irgendwann bin ich in Sellin.
Irgendwann war ich aber nur noch als einziger unterwegs. Aus dem feinen Sandstrand war eine Geröllwüste geworden, kilometerlang. Nasse Rundsteine, welche ein Eiszeitgletscher vor sich hergeschoben haben musste, bis er vor dem Hochufer kapitulierte. Ich kapitulierte nicht, auch nicht, als die ersten Bäume den Weg versperrten. Darunter wegtauchen, darüberklettern, runterspringen und noch einmal und noch einmal. Auch kilometerweit. Von 4 Jahren Karatetraining war nicht viel Wendigkeit übrig geblieben und von 4 Marathonläufen höchstens ein dumpfes „Weiter!“.
Weil ich Promenier- statt Workout-Klamotten anhatte, ärgerte mich schon der erste Moosstriemen auf der Hose. Den zweiten steckte ich besser weg. Als Schuhe und Hosensäume nass und schlammig wurden, mir der Mützenlappen unentwegt über die Augen rutschte und ich mich schon 4 Stunden unterwegs befand, war mir alles egal. Merkwürdig nur, dass die Selliner Seebrücke immer weiter wegzutreiben schien, nachdem sie überhaupt aufgetaucht war. Es war bloß gut, dass kein eisiger Wind wehte.



Für die Landschaft hatte ich kaum Blicke. Ich musste beständig darauf achten, nicht neben einen der Steine zu treten, schließlich saß ich vor einem Jahr wegen Beinbruchs noch im Rollstuhl und die Metallschiene ist immer noch am Knöchel angeschraubt. Aber beim Innehalten: Drei Schwäne bilden im Wasser ein gleichschenkliges Dreieck, zwei identisch gekleidete Angler blinkern nach Meerforellen, einen Wellenschlag neben mir das Steilufer, aus dem vor kurzem etwas abgebrochen zu sein schien.
In Sellin ging es dann noch einen Steilweg hoch. Oben stellte ich fest, dass es auch einen Aufzug gibt. Aber darauf kam es nun genauso wenig an wie auf den fortzusetzenden Weg zur Bushaltestelle. Unterwegs der Vergleich mit Binz: Sellin wirkt bedrückender. Altdeutsches Flair, Erinnerungen an DDR-Zeiten, viel Grau, wo Weiß war.
Wieder in Binz duschte ich, zog mir den feinen Zwirn an und leistete mir als Kontrast zum Survival-Training ein erlesenes Essen im „Olivio“, einem Hotelrestaurant.
Vor den Terrassenfenstern hingen unzählige Lichterketten, die sich in den polierten Weingläsern widerspiegelten. Hinter milchiggrünen Plexiglaswänden wächst erleuchtetes Bambusgras. Sehr stilvoll, sehr gemütlich. Die junge Kellnerin verstand ihr Handwerk und hatte darüber hinaus eine frische Art, die keine falsche Würde zuließ.
Alles sehr köstlich: die „Essenz von Meeeresfischen“ (Fischsuppe), der „Wildbarsch aus dem Strelasund“ auf „Gurkentagliatelle“ zu Püree. Dazu ein Gavi di Gavi, eine Crème brûlée als Dessert und ein Brandy als Abschluss. Gefühlte Vollkommenheit.

Montag, 5. Februar 2007

080 | Zurück und hin: Binz

Für ein Jahr war ich abgetaucht. Obwohl: Das Bild trifft es nicht. Ich schlug mich nebenberuflich als Wald- und Gelegenheitsarbeiter durch, gönnte mir eine Art Sabbatjahr. Statt blaue Blumen zu suchen, hackte ich Holz und war ausgeglichen wie Charles Ingalls aus „Unsere kleine Farm“. Mir reichte es, Poesie zu sehen, zu fühlen; ich musste sie nicht beschreiben.
Ich weiß, ich spreche in Rätseln.
Jetzt habe ich eine, wie ich finde, nutzerfreundlichere Homepage und bin motiviert, wieder mehr – besser: etwas – zu schreiben. Wofür so eine Auszeit alles gut ist.
Und weil man oft damit beginnen sollte, womit man aufgehört hat, bin ich zurückgekehrt nach Rügen. Immer wieder Rügen ...


Binz: Wieder im „Poseidon“ gegessen: fangfrischen Ostseedorsch auf Porree mit Kartoffelpüree. Tadellos! Das Essen. Die Bedienung hatte ich besser in Erinnerung. Eine war zu jung (Ich fragte nach Schnäpel, dem Steinlachs, den sie nicht kannte. Und sie wirkte im Umgang mit Gästen etwas linkisch), die andere war überroutiniert: Sie fragte, ob es geschmeckt habe, war aber bereits mit dem Geschirr in der Küche, bevor ich antworten konnte. Normalerweise bin ich da nicht so. Nein, wirklich, ich bin ein netter, unkomplizierter Gast, der auch schon einen Teller zureicht, wenn schwer an ihn ranzukommen ist. Aber im „Poseidon“, das in der Gastroszene hochgelobt wird, auf das ich mich jedes Jahr aufs Neue freue, sollte nicht nur das Essen tadellos sein. Als ich mich nun genauer umsah, entdeckte ich an der Wand Balsamico-Spritzer und einen ramponierten Lampenschirm. Sinnbilder, dachte ich.