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Montag, 3. November 2003

065 | Mucha-Ausstellung

Gestern, am Sonntag, war ich in der Alfons-Mucha-Ausstellung im Bröhan-Museum, wo eine umfangreiche Retrospektive aus der Belle Époque in der Beletage gezeigt wird. Es war herrlich! Jugendstil-Plakatkunst vom Feinsten. Überall idealisierte Frauen mit Blumen im Haar, Allegorien der Künste, Jahreszeiten, Pflanzen, Gestirne und Edelsteine. Immer aber sind es Ikonen weiblicher Schönheit oder Variationen von Anmut und Eleganz.
Muchas Lithografien zeigen Nymphen, die unschuldig vollkommen oder professionell sinnlich dargestellt sind. Illustrierte Lust, kunsthandwerklich perfekt! Dass dem Künstler beim Arbeiten nicht die Linien wegzitterten, ist schon erstaunlich. Linien, von denen das Werk dank damals entdeckter japanischer Holzschnitte lebt.
Erstaunlich ist auch, wie vielfältig die Ornamentik des einstigen Autodidakten ist. Neben byzantinischen Anleihen stellt die Natur den größten Fundus zur Verfügung: von Krabbelkäfern bis zu Blütenblättern ist alles vetreten.
Unbegreiflich, dass die Prager Akademie der Künste dieses Genie einmal mit den Worten ablehnte: „Herr Mucha, Sie sollten sich nach einem Beruf umsehen, für den Sie nützlicher sein könnten ...“
Selbst wenn Mucha Illustrator und Kulissenmaler geblieben wäre, wenn er bloß Werbeplakate angefertigt hätte, wäre er berühmt geworden, davon bin ich überzeugt. Weil Muchas Plakate in erster Linie und mit allen Linien Sinnlichkeit vermarkten. Sex sells – wie auf der “JOB“-(Zigaretten?)-Reklame von 1896, meinem Lieblingsbild. Alle angepriesenen Produkte wie Champagner, Biscuits und Parfum sind da nur noch Stimmungsmacher. Kunst und Kommerz also vollkommen vereinigt.
Würde Mucha heute leben, wäre er mit Sicherheit Werbegrafiker oder Designer. Comic-Zeichner könnte ich mir auch vorstellen, bei der vornehmen Theatralik, die seine Figuren ausmachen.

Die Bilder sind einfach nur schön. Wobei „nur“ bei einem Künstler immer auch nach Makel klingt und Angriffsfläche bietet. Doch Mucha hat sich mit allem schönen Schein auch sozial oder gar politisch engagiert. Wie bei einem UNICEF-Vorläufer-Plakat von 1922, wo zur Nahrungsmittelhilfe zugunsten russischer Kinder aufgerufen wurde. Oder im „Slawischen Epos“, mit dem er auf romantische Weise das nationale Selbstbewusstsein nicht nur der Tschechen stärken wollte. Immer aber blieb er dabei seiner ästhetischen Ausdrucksweise treu.
„Der Sinn meines Werkes bestand nie darin, etwas zu zerstören, sondern stets zu schaffen, Brücken zu bauen, denn uns alle muss die Hoffnung nähren, dass die gesamte Menschheit einander näher kommt, und dies um so leichter, wenn einer den anderen kennen lernt“, sagt er.
Er züchtete also im besten Glauben gefällige Pfauen, statt sie expressionistisch zu rupfen. Oder anders: Seine Kunst ist wie süffiger Likör, der nicht mehr als einen Wermutstropfen verträgt. Sonst wäre das Zeug nämlich ungenießbar. So ist alles ausgewogen im Geschmack und für meine Begriffe nie zu süß oder klebrig.

Neben den bedeutsamen Lithografien sind auch Pastelle, Zeichnungen, Ölgemälde, Fotografien, Skulpturen, dekorative Entwürfe, Bucheinbände, Produktverpackungen und Schmuck ausgestellt. Und es läuft ein Video über Muchas Leben, Werk und seine Zeit, wenn auch auf Englisch.

Die Mucha-Retrospektive dauert in Berlin noch bis zum 18. Januar an, im Bröhan-Museum, gegenüber des Schlosses Charlottenburg (Schlossstr. 1a). www.broehan-museum.de

Wer hinterher diesen Kunstgenuss abrunden möchte, sollte unbedingt in das nahe gelegene italienische Restaurant „Opera Italiana“ gehen (Spandauer Damm 5). Die Opern-Welt – der Welt Muchas verwandt - gibt den Einrichtungsstil vor, der Rest scheint über Jahre liebevoll und typisch italienisch zusammengetragen worden zu sein. Werden auch noch Arien gespielt, kann sich in dem zwei-etagigen hohen Raum der Geist beflügelt erheben. Vor allem aber, weil Pino, der sizilianische Chef, nicht nur gutes Essen, sondern auch 50 verschiedene Rotweine bereit hält. Also dann!