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Sonntag, 20. Oktober 2002

039 | Shoppen

Gestern war ich wegen einer neuen Hose, Schuhen und Büchern unterwegs. Und weil ich herausfinden wollte, was der Unterschied zwischen "Shoppen" und "Einkaufen" ist.
Wenn es für die ideale Zielgruppe zwanzig- bis dreißigjähriger unverheirateter Großstädter einen Shoppingtag gibt, heißt er Samstag. "Samstag" klingt frischer als "Sonnabend", "Samstag" ist Tagesmagie pur, "Samstag" ist die Zeit bis zur sonnabendlichen Mitternachtsparty, die sich beim Shoppen besser als mit Hausarbeit überbrücken lässt, zumal die Geschäfte oft bis 16.00 Uhr aufhaben. Vorheriges langes Ausschlafen und ein kurzes, aber entspanntes Frühstück vor dem Fernseher verstehen sich von selbst. Brunchen gehen ist schlecht, weil durch die vorzeitig einsetzende Selbstzufriedenheit der Tag dann schon irgendwie gelaufen ist.
Nach dem Frühstück beginnt der entscheidende Teil in der Vorbereitung: Paare müssen trotz Morgenmuffligkeit rücksichtsvoll sein und dürfen sich nicht in die Haare kriegen. Sonst hat es sich schon am Anfang ausvergnügt. Und weil Männer erfahrungsgemäß eher Zweck- als Lustkäufer sind, bemühen sich in erster Linie deren Frauen um gute Stimmung. Einige wissen, dass sich der Einsatz am Ende bezahlt macht. Nicht weil der Mann am Ende bezahlt (Wo leben wir denn!), sondern weil er schlichtweg mal wieder dabei ist. Andere verzichten eben deshalb auf die Begleitung ihres schnell überfordert und zerstreut wirkenden Schattens, der von ihrer Typberatung so viel versteht wie von ihrem Innenleben. Also ziehen diese Frauen lieber alleine oder mit der Freundin los, nachdem sie sich bei Musik ausgiebig geduscht, vielleicht ihre Intimrasur erneuert, sich vor dem Spiegel geschminkt, gestylt, gedreht haben. Denn Frauen müssen sich vor der großen Shopping-Tour schön finden, sonst wird das nix. Sie müssen sich schließlich bei den unzähligen Spiegeln der Klamottenläden gern begegnen. Und wer sich gerade selbst nicht mag, verwöhnt sich lieber gar nicht und bleibt auf jeden Fall zu Hause.
Shopping ist eine Art Vorspiel für die Seele, der Kauf als Höhepunkt wünschenswert, muss aber - anders als bei den meisten Männern - nicht sein. Kommt sie anschließend wieder nach Hause und er fragt, was sie "eingekauft" habe, schüttelt er nur den Kopf, wenn sie "nichts" sagt, und dabei ergänzt: "Es war trotzdem schön ..." Das ist der Unterschied. Zwischen "Shopping" und "Einkaufen", zwischen Männern und Frauen. Ausnahmen bestätigen das. Doch welche Frau kommt schon ohne Plastiktütchen heim.
Die nettesten mir bekannten Läden Berlins gibt es am Hackischen Markt. Bei "Jimmy´s" (Oranienburger Str. 8) bekommt man nicht nur eine kompetente Beratung wie im "Hotel" nebenan, sondern auch schon mal ein Glas Prosecco vom Chef. Und das nicht bloß nach dem Kauf. Überhaupt ist von Kaufzwang nichts zu spüren. Man nimmt sich Zeit für die Kundschaft, ist entspannt und versteht sich nicht bloß als Verkäufer. Dagegen muss man in Konsumtempeln wie H&M, dem IKEA der Bekleidungsindustrie, häufig lange anstehen, will man in eine Umkleidekabine, oder findet in selbiger einen ganzen Fundus nicht weggehängter Klamotten vor. So erlebt in der Friedrichstraße. Das Personal war offenbar überfordert und machte den Laden bereits um 15.45 Uhr dicht. Dafür stand DUSSMANN bis 22.00 Uhr offen. Wer wie ich noch nicht genug hatte, fand sich vor den CD- und Bücherregalen ein. Nur ein kleines Mädchen war übermüdet und weinte auf dem Arm des Vaters, während sich eine lächelnde ältere Dame nach dem "Glücklichen Massenmord" oder so erkundigte.
Als auch bei DUSSMANN die Pforten schlossen und ich mich zu Hause längst bei Tagliatelle und Prosecco erholt hatte, raffte ich mich noch einmal fürs Kino auf. "Halbe Treppe" kam, einer der Low-Budget-Gewinner auf der letzten Berlinale. Gedreht im Stile von Doku-Soaps und Dogma-Filmen (wackelnde Handkamera!).
Es ging um die eingeschlafenen Beziehungen zweier Ehepaare aus Frankfurt an der Oder. Die Schauspieler waren brillant, die Dialoge teilweise improvisiert. Am Ende des Films gab es Applause und stille, glückliche Gesichter im Publikum. Weil es nichts auszusetzen hatte. Da war echte Tragik, komische Tragik und tragische Komik. Hier und da ein wenig Hoffnung und Erfüllung. So wie das Leben eben oft zwischen zwei Shopping-Touren.

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