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Samstag, 12. Oktober 2002

038 | Letzter Tag

Gestern bin ich noch einmal durch den Kaiserstuhl gedüst. Alle Örtchen mehr oder weniger lauschig, herausragend keiner. Bemerkenswert vielleicht nur der jüdische Friedhof außerhalb Ihringens. Eine weiße Mauer um ein kleines Areal inmitten der Weinberge. Der Eingang verschlossen, die Grabsteine mit dem Rücken zum betrachtenden Auge. Abgewandt. Über eine jüdische Gemeinde stand nichts in meinen Reiseführern. Ganz klar. Mir fiel das alte Familienfoto meiner Wirte ein: darauf ein Mann mit Hitlerbärtchen.
Vor dem "Kräuterladen" von Burgheim zwei Reisebusse, innen ein unerträgliches Duftgemisch: Duftkerzen, Duftöle, duftende Trockenkräuter für die ausschwärmende Zielgruppe unzähliger Senioren. Zwischen Büchern, Kirschkernkissen und Zimmersprudlern wurde nach dem volkstümlichen Wissen der Großmütter genauso gesucht wie nach neueren Esoterikversprechen. Hauptsache es hilft, die jahrelang vernachlässigte Gesundheit zu sanieren. Das fette Essen, die Zigaretten, die Bewegungslosigkeit. Bloß drei Männer saßen stoisch draußen und sahen ihrem Schicksal illusionslos entgegen.
Um den Kopf wieder frei zu kriegen, machte ich in der Dämmerung einen Spaziergang zum Rhein. Vorbei an Gartenastern, Apfelbäumen, überreifen Maisfeldern und einer von Wildschweinen zerwühlten Auenlandschaft. Ein Herbstgedicht Georg Trakls kam mir in den Sinn. Im vergehenden Licht noch ein letzter Blick nach Frankreich, dann kehrte ich um. Es war Zeit, wieder nach Berlin zu fahren.
Letztendlich bleibt für mich das Ländliche Provinz, wo die Zeit für den Städter kurzzeitig inne hält, aber langfristig verrinnt, nur anders als in der Stadt, in der noch mehr wächst außer Flora und Fauna. Wo man besser lebt, ist nicht pauschal zu sagen. Das wechselt von Person zu Person und von Zeit zu Zeit.
Nach wenigen Stopps kam ich heute Abend wieder in Berlin an. Die Stadt war nur äußerlich kalt. Und der Schnee, der für morgen angesagt ist, wird mich nicht davon abhalten, schon Sonntagmittag um die Häuser zu ziehen. Vielleicht gehe ich wieder mal irgendwo brunchen, wo ich noch nicht war und wo ich in Ruhe die Tage bis zum nächsten Frühling nachzählen kann.

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