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Montag, 7. Oktober 2019

210 | Kreta 2019

Während ich am Montagmorgen um sieben Uhr nach kretischer Zeit im T-Shirt auf der Appartement-Terrasse sitze, einen türkisch gebrühten Kaffee trinke und das Wolkenspiel über der Bucht von Agia Galini beobachte, beginnt in Berlin bei Null Grad die Arbeitswoche.
Meine Zwillinge und mich hat es also erneut auf unsere Sehnsuchtsinsel gezogen. Und diesmal ist auch Andrea wieder dabei, Andrea und ihr elfjähriger Sohn. Der war zuvor noch nie geflogen. Dass er es auch nicht vorhatte, lag weniger an klimabewussten Bedenken, als an seiner vermeintlichen Flugangst. Letztlich war es für ihn überhaupt nicht schlimm, sondern aufregend, wobei er die Landung halb verschlief.
Da wir fünf verstreut liegende Plätze hatten, saß ein Grobmotoriker neben mir, der mir beim Ausziehen die Strickjacke um die Ohren schlug und im Schlaf epileptisch mit den Beinen zitterte. Was mich an sich nicht störte. Doch der Herr kaufte sich einen Kaffee im offenen Becher, trank einen Schluck, stellte den Becher auf sein Klapptischchen und schlief ein, während draußen melodramatisch die Sonne über Deutschland aufging. Im Geist sah ich schon den Kaffeefleck auf meiner Hose und überlegte ernsthaft, ob ich wenigstens zu lesen aufhören sollte. Denn in meinem handsignierten T.-C.-Boyle-Buch („Das Licht“) hätte ich den Fleck noch weniger toleriert. Am Ende aber ging, da Flecken den Überraschungsmoment und nicht die Vorhersehung lieben, alles gut aus.
Nach einer Stunde Wartezeit am Schalter des Autovermieters und einem Disput mit einem Vordrängler, der erst tat, als würde er kein Deutsch sprechen, fuhren wir mittags ab in den Süden. Auf der neuen Autobahn und in einem komfortablen Octavia Ambition, einem Combi mit Klimaanlage. Beides prinzipiell sehr schön, doch selbst mit kretischer Dudelmusik aus dem Radio kam bei mir weniger von dem ursprünglichen Feeling an. Es war einfach zu perfekt. Keine Fahrt mehr durch Bergdörfchen, kein offenes Fenster … Meine Söhne hielten mich für übergeschnappt, als ich meine Gedanken dazu äußerte, und waren nur enttäuscht, dass wir keinen kultigen Gyros-Stopp mehr in Agia Varvara einlegten.
Dafür gingen wir gleich nach dem Einschecken im „Sky Beach Hotel“, wo es für sie einen Pool gibt, am Hafen essen. Und nach einer Bade- und Schlafrunde, zogen wir ins „Ilios“ zu Susanne, Manolis und Sophie, der Hundedame. Susanne und Manolis freuten sich sehr, uns wiederzusehen, wirkten von der Saison aber auch ordentlich geschafft. Besonders Manolis. Fischen war er schon drei Monate nicht mehr, meinte er, als er sich die Metallköder, die ich ihm mitgebracht hatte, ansah. Dafür war er in den letzten Tagen jagen. Mit einem jungen Hund, den er dafür ausbilde, und der – wenn ich es richtig verstanden habe – Irma heißt. Wie meine selige Großmutter. Zwei der Jungs gingen auch gleich nach dem Essen mit Irma Gassi. Und weil wir uns allen Ruhe gönnen wollten, brachen wir nicht allzu spät und mit abgefülltem Wein zum Hotel auf, wo wir noch ein wenig auf der Terrasse saßen. Bei Kerzenschein, Halbmond und meditativem Wellenrauschen genossen wir die neue Perspektive auf den nächtlichen Hafen, kamen runter und kamen an. In Agia Galini und vor allem bei uns.

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