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Montag, 23. Juni 2003

057 | Morcheeba

Sonnabend zur Sommersonnenwende spielten Morcheeba auf der Museumsinsel vor der Alten Nationalgalerie. Pop open Air. Aber Sonne und Sommer hatten sich abgewendet; die Himmelszeichen standen auf Regen. Die Fans setzten sich auf die hoffnungsvoll grüne Auslegeware vor der Bühne und warteten. Und starrten vereinzelt kleine Löcher ins Wolkengrau.
Über ihre Köpfe hinweg starrte von seinem hohen Denkmal-Ross aus Friedrich Wilhelm IV. missbilligend auf ein riesiges „Zitty“-Plakat. Darauf war zum aufbegehrenden „Die Stadt bin ich“-Slogan ein weißes Marmorbüstenhaupt abgebildet, das wie der frostige Kai aus Andersens „Schneekönigin“ aussah und seinerseits auch in den Himmel starrte.
Dann - gegen halb neun - fingen Morcheeba zu spielen an. Alles erhob sich und drängte zur Bühne. Applaus, als Skye Edwards, die Sängerin lächelnd ans Mikro trat und „Hallo!“ sagte. Sie sah aus wie ein nettes schwarzes Südstaatenmädchen, oder wie die kleine Rudi aus Bill Cosbys Familienbande, nur etwas größer, mit dreiviertellangem Rock und mit zu Schneckchen geflochtenem Haar. Dabei kommt sie mit der Band aus London.
Während des ersten Songs sah auch sie immer wieder in den luftfeuchten Himmel, rüber zum Berliner Dom, wo ein großer Starenschwarm wendig wie eine Fischschule seine Runden über der Kuppel drehte.
Skye Edwards wirkte entspannt. Ihre Samtstimme und die sanften Gesten schienen den drohenden Regen abwenden zu können. Und tatsächlich - bereits während des ersten Songs riss der Himmel auf und die Regenwolken begannen, sich in alle Winde zu zerstreuen. Ebenso der Rauch einiger Joints. Es mussten entscheidende Energien fließen. Sky(e), natürlich! – nomen est omen!

Für die aktuelle Tour wurde die ursprüngliche Dreierformation, bestehend aus den Gebrüdern Godfrey und eben Skye Edwards, durch einen Bassisten, einen Drummer, einen Keyboarder und einen jungen Mann an den Turntables als Gastmusiker aufgestockt, die ihre Sache allesamt gut machten.
„Morcheeba“ ist nicht nur eine bemerkenswerte Mischung unterschiedlichster stilistischen Einflüsse, sondern auch das perfekte Zusammenspiel von Elektronik und Livemusik. Ob mit oder ohne „Trip-Hop“-Etikett. Für mich die Musik des neuen Jahrtausends. Sehr harmonisch das Ganze.
Wer wie ich alle 4 Morcheeba-Platten zu Hause hat, wird die sicher nicht nur hoch und runter hören, er wird vielleicht auch seine Mühe haben, die Stücke auseinander zu halten und zuzuordnen. Aber das macht nichts. Im Grunde ist jeder Song nur eine Variante des harmonischen Ganzen, das man als „God Vibes“ bezeichnen könnte. Auf anderer Ebene – ´tschuldigung - vergleichbar mit Vivaldi, über den es hieß, er habe nicht 1000 Themen komponiert, sondern ein Thema tausendmal. Doch auch das macht überhaupt nichts, im Gegenteil.

Bereits mit dem ersten Lied - natürlich weiß ich nicht mehr, welches das war – hatte Skye, die Sängerin, das Publikum und mich auf ihrer Seite. Ich kann mich auch nicht erinnern, wann ich eine so uneitle Performerin erlebt habe. Sie war naturbelassen schön und positiv wie ein Kind, selbst wenn sie sich kokett in den Hüften wiegte und mit dem Publikum flirtete. So winkte sie auch schon mit beiden Händen zu zwei kleinen dunkelhäutigen Kindern rüber, die auf der Treppe der Nationalgalerie standen. Vielleicht ihre eigenen. So versuchte sie voller Übermut das Berliner Publikum zum Mitsingen zu bewegen, was bei „Friction“ sogar gelang.

Am Ende, nach einer und einer dreiviertel Stunde, waren jedenfalls alle glücklich. Wie nach einem Film, in dem das Gute siegt, ohne allerdings mit dem Bösen gekämpft haben zu müssen. Die letzte Zugabe hieß – erhofft und zu erwarten – „rome was`nt built in a day“. Der Song klang noch, da verteilte Skye Handküsschen, nahm eines der todmüden kleinen Kinder auf den Arm, welches nun hinten an der Bühne stand, und verschwand lachend als erste.

(Am 19. Juli kann man Morcheeba übrigens noch in Karlsruhe sehen.)

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