Spätestens seit der Sanierung der Wohnpaläste wurde die Karl-Marx-Allee, die "Paradestraße" zwischen Frankfurter Tor und Alex, als Kulisse für Reklame- und Musikclips ausgemacht. Die gern von Architekten als Atelier genutzten Glaskuben entdeckte eine junge Werbeagentur als "Location" und drehte einen berlinkompatiblen Spot für Coca Cola. Und am Straußberger Platz entstand ein Popvideo zur "Alles Neu"-CD von Mia, eben passend zur Straße, die 1953 noch Stalinallee hieß und den 17. Juni zum Gedenktag machte.
Im Windschatten der Kneipenkultur rings um die Simon-Dach-Straße haben auch in der Karl-Marx-Allee neue Restaurants und Cocktailbars aufgemacht oder fristen unter Linden ihr Dasein. Erstaunlich ist, wie sich das Publikum nach nur wenigen Straßenzügen unterscheidet. Sind in der Simon-Dach-Straße junge Kreative auf der Suche nach dem Berlin-Mythos, rekrutieren sich die Gäste in der Karl-Marx-Allee eher aus potentiellen Mallorca-Urlaubern und vom Bier zum Longdrink konvertierten Leuten, deren Weltbild sich im Kurzhaarschnitt und discotauglichen Klamotten erschöpft. Eine Ausnahme allerdings: das nach dem kaum mehr erinnerten Dichter benannte "Ehrenburg". Das Lokal ist angenehm in oranges Licht getaucht. Das Konterfei des Poeten an der Wand, eine junge Frau am Laptop davor, draußen, bei Kerzenschein, ein Schach spielendes Paar. Ich setzte mich gestern an den Nebentisch, um nach einem entspannten Tag noch einen Absacker zu bestellen. Aber der Kellner kam nicht, und somit ging ich wieder. Ein Abstecher in die Koppenstraße, wo noch vor anderthalb Jahren das "Buena Vista" kubanisches Flair verbreitete. Der Inhaber war Neffe von, ich glaube Ibrahim Ferrera, dem großartigen Sänger der Buena-Vista-Formation. War – im Sinne von: die Bar gibt’s nicht mehr, dafür, als traurigen Ersatz, eine Döner-Bude.
Zurück zur Karl-Marx-Allee: Das "Abgedreht" am Frankfurter Tor, hatte mir jemand erzählt, solle "ganz lustig" sein. Zumindest hat der Kellner lustige Tattoos auf den Armen und schien auch zur Mitternacht gut drauf zu sein. Doch draußen sitzen ging aus "lärmtechnischen" Gründen nicht. Aber eben das wollte ich, wettertechnisch bedingt. Direkt daneben, im U5 hat man kein Problem mit schlaflosen Anwohnern. Der Kellner hier war ebenfalls guter Dinge, was jedoch an seinen Getränken gelegen haben muss, die er immer mal wieder probiert haben wird, bevor er sie seinen Gästen empfehlen konnte.
Nach meiner Bestellung hatte ich Zeit, in der Karte nachzulesen, dass "Cocktail" so viel wie "Hahnenschwanz" heißt und auf den Umtrunk nach Hahnenkämpfen zurückgeht. Doch ich glaube, den Begriff haben eher geschäftstüchtige Barkeeper geprägt, welche ihre Gäste wie Federvieh zu rupfen verstehen.
In diesem Sinne kam der Kellner mit seinem Rundtablett und ein wenig gravitätisch daher. Der Fuß des Glases blieb am Tablettrand wie der eines Hochspringers an der Latte hängen und schwungvoll servierte sich der Inhalt selbst. Der Kellner ärgerte sich so leidenschaftlich wie der Hochspringer über die verrissene Latte und kümmerte sich kaum um den Gast, der sich stumm die süßen Tropfen von der Hose tupfte. Gut, der Pechvogel von Kellner nahm das halbleere Glas wieder mit und brachte ein neues, das aber so wortlos wie später die Rechnung. Selbst die kleine "Knabberschale" ging nicht auf das Haus für das, was auf die Hose gegangen war. Er sagte am Ende nur: "Bis zum nächsten Mal!", der Ahnungslose!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen