Seit heute soll die große Wärme zurückgekehrt sein. Nur zu, wenn es nicht gerade so heiß wird wie letztes Jahr. Wer aus „The Day after tomorrow“ rauskommt, wird die große Wärme überdies auf sehr dankbare Weise empfinden.
Am Sonnabend war es aber noch einigermaßen frisch draußen. Letzte Chance für mich, mein Wintervorhaben – ins „Liquidrom“ zu gehen – in die Tat umzusetzen. Das Liquidrom gehört zum neuen Tempodrom, wo zur Zeit der Pferdeflüsterer für Stille im Publikum sorgt, und befindet sich in der Möckernstraße 10, nicht weit vom Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof entfernt. Schon von weitem weist das stilisierte Zirkusdach aus offenem weißen Beton den Weg.
Wer von Spaßbädern mit Massenbetrieb genug hat und das exklusive Wellness-Erlebnis sucht, ist im Liquidrom genau richtig. Schreiende Kinder und fastfood-verseuchte Erwachsene werden schon von den 15,-€ für 2 Stunden Eintritt abgeschreckt. Vielleicht auch von der Stille, die im Badebereich Gesetz ist, oder von der puritanischen Innendekoration (viel nackter Beton). Und wer wie ich das erste Mal hierher kommt, interessiert sich nicht für Sauna, Massage und Außenpool, er geht am langen Tresen vorbei, direkt ins Herz der Anlage, besser: direkt in den Mutterleib. Denn der runde Pool befindet sich in einem dunklen Raum unter einer riesigen, auf vier Pfeilern ruhenden Betonkuppel. Am Zenit ein Bullauge zum Himmel über Berlin. Ringsum wabern sparsame Lichteffekte zu entspannter elektronischer Musik. Es riecht ein wenig nach Chlor. Das Wasser hat Badewannen-Temperatur, ist aber gesalzen wie das Meer. Verwöhnte Nixen würden sich hier sofort wohl fühlen. Das tun aber auch alle anderen. Zumeist Paare schieben sich abwechselnd wie im Kreise einer Schwimmbad-Therapiegruppe durchs Wasser. Das Gesicht dabei nach oben, die Ohren unter Wasser. Das ist wichtig, denn unter Wasser ist die Akustik wegen der Pool-Lautsprecher am besten. Man lauscht wie ein Wal und bewegt sich auch so behäbig. In Zeitlupe oder wie ein Astronaut im All. Man kann mit den Füßen auch am Beckenrand „andocken“, indem man sie einfach unter das Geländer klemmt. Dann ist das Astronautengefühl perfekt. Man schwebt in seiner Welt, im eigenen Kosmos und fühlt den Schoß Gottes, das Leben davor oder den Mutterleib danach. Wiedergeburt, denke ich, wenigstens für 1-2 Stunden. Türkisches Bad, denke ich weiter, unter Wasser gesetzte Krypta eines New-Age-Tempels. Auf jeden Fall ein Chill-out-Raum (Sonnabends legt ein DJ auf, freitags gibt’s „Klassik unter Wasser“). Je mehr ich denke, um so weiter treibe ich der Vernunft entgegen in dem Raum, wo laut Eigenwerbung des Liquidroms die „Kultur ins Wasser fällt“. Doch hier fällt nichts, hier schwebt alles, hier taucht man höchstens vor dem Alltag ab. Oder man flirtet. Und Flirten ist ja schließlich auch Abtauchen. Manchmal ist es im Liquidrom so sinnlich, wie ich mir einen anspruchsvollen Swingerclub vorstelle. Aber das ist es in einer Sauna auch, da sich Sinnlichkeit und Erotik zum Verwechseln ähnlich sehen, ähnlich anfühlen.
Nach anderthalb Stunden habe ich dennoch genug. Meine Haut ist schrumpelig und der Abend dementsprechend nicht mehr ganz so jung (Das Liquidrom hat bis nachts geöffnet). Ein Bier!, denke ich am Ende meiner Wiedergeburt, denn Salzwasser macht durstig.
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