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Montag, 17. Januar 2005

074 | Kreativpause

Über sieben Monate, die ich mich hier nicht mehr blicken ließ. Ich könnte sagen, ich hatte keine Zeit. Aber das wäre eine enttäuschende Rechtfertigung für die, die tatsächlich auf neue Tagebucheinträge gewartet haben. Deswegen möchte ich ein paar abenteuerliche Ausreden als Entschuldigung anbieten:

a) Ich befand mich in Indien, um die letzten Sinnsucher aufzufordern heimzukommen
b) Ich verdingte mich bei Harald Schmidt (Kreativpause!) als eine Art Eckermann mit Diktiergerät
c) Ich wartete nach "The Day after tomorrow" voller Depressionen im Bett auf das nahe Ende
d) Ich entwarf Pläne für einen Neuanfang
e) Ich versuchte einen Rekord im Riesenstein-den-Berg-Hochrollen (Abbruch nach 3 Monaten)
f) Ich lag 4 Monate wegen komplizierter Quetschungen und Zehenbrüche im Krankenhaus

Auf jeden Fall bin ich wieder im Spiel und füttere meine Flausen gerade mit Sonnenlicht und Meisengetschilpe.
Silvester war ich übrigens an der Ostsee: Lübecker Bucht. Ich hatte meine Habseligkeiten mit Seemannsgarn umwickelt und wartete in Grömitz an der Landungsbrücke auf ein Schiff, das kommen würde. Aber da waren nur Möwen, Schwäne fütternde Spaziergänger und Quallen im Flachwasser, die toter Mann spielten. Und es nieselte. Schließlich machte mich der Glühweingeruch aus einer Promenadenbude wieder zur Landratte. Eine Tüte Mutzen und drei Tassen mit Schuss, um den Jahreswechsel zu versüßen. Aber auf dem Schiff hätte es Rum gegeben, dachte ich mit glasigem Blick zum Horizont, Rum und Salzheringe mit Schiffszwieback. Wenigstens spürte ich allmählich das Mereswogen unter mir. Doch als ich an das Seebeben vor Sumatra dachte, war es aus mit der Seemannsromantik. Ich gab die letzte Glühweintasse ab und fuhr nach Berlin zurück.
Das inszenierte Leben aus Anspruch und Langerweile hatte mich wieder.
In der U6 gab es eine Schlägerei von Jugendlichen. Wie routiniert doch die übrigen Fahrgäste das Abteil wechselten. Zwei Stationen später standen vier weitere Idioten auf dem Bahnsteig (Alter und IQ lagen zusammen bei etwa 75). Sie schabten sich mit aufklappbaren Rasiermessern Muster in die ohnehin kurzen Haare und sahen aus, als hätte man Araber und Skinheads in einen Topf geworfen und einmal zu kräftig umgerührt.
Ungerührt fuhr ich weiter, zum "Sushi Circle" in der Französischen Straße. Immer wieder gut dort, wenn sie bei "All you can eat" auch die Preise angezogen haben (15,99 statt 13,99). Freunde, die mich begleiteten, meinten, das könne durchaus an meiner Gefräßigkeit liegen. Ich wollte widersprechen, hatte jedoch den Mund voll.
Hinterher kullerten wir alle wie gut gefüllte Maki-Röllchen ins Kino, um uns ironischerweise "Die fetten Jahre sind vorbei" anzusehen, mit Daniel Brühl aus "Goodbye Lenin". Nach anfänglicher Skepsis (Propagandagefahr und Wackelkamera) gefiel mir der Film immer mehr. Wegen der Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor. Es ging nicht vordergründig um Terrorismus (gegen Globalisierung und die "Diktatur des Kapitals"), sondern um Aufrichtigkeit und die Aufrechterhaltung von Idealen. Der Film war nicht nur spannend und machte Spaß (auch wegen der Unvorhersehbarkeit), er war auch Anstoß, den eigenen Lebensplan wieder zu hinterfragen ("Bin ich spießig geworden? Wie wollte ich leben? Wie lebe ich jetzt?"). Und sein Leben hinterfragen sollte man so regelmäßig wie prophylaktisch zum Zahnarzt gehen.

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