Ruckizucki ist der Mai vorbei. Mit Fliederduft und Kastanienblüten, mit erstem Spargel und letztem Bodenfrost. Was ich für diesen Sehnsuchtsmonat auf meine „To-do-Liste“ geschrieben hatte, ließ sich auch an fünf Wochenenden nicht ganz verwirklichen und wird in den Juni mit rübergenommen. Zum Beispiel bei wärmerem Wetter in einem Gartenlokal am Wasser oder unter einer Kastanie bis zum Abendrot sitzen oder ins MoMA gehen (hatte vorgestern zu).
Aber ich schaffte es mit dem Rad 111 km ins Anhaltinische zu fahren, wobei ich auf jeden einzelnen Kilometer stolz bin. Man hatte mich zu einer dörflichen Polterhochzeit eingeladen (und ich liebe Hochzeiten, sofern ich nur Gast sein kann).
Das Ganze fand auf einem großen Gehöft statt, mit Bierwagen und ordentlicher Überdachung gegen den kalten Regen. Nachdem sich Männer, die im Anzug erschienen waren, und Frauen, die mit ihren Highheels den nassen Rasen zu vertikutieren schienen, bequemer und wärmer angezogen hatten, begann der bekannte Ablauf von Reden, Showeinlagen und Tanz nach dem Kaffee. Diesmal war es nicht nur erträglich, sondern sogar unterhaltsam.
Mich beeindruckte vor allem diese flexible Dorfgemeinschaft: Ein gelernter Fleischer (Er sah so aus, wie man ihn sich vorzustellen hat) bereitete aus zwei Schweinen – ein Haus- und ein Wildschwein (selbstgeschossen!) – über offenem Feuer eine Art Gulasch zu. Frauen in den Rollen von Kellnerinnen inszenierten sich später flexibel mit in- und externen Parodien.
Die Frischvermählte selbst ließ es sich auch nachts nicht nehmen, nur im Brautkleid rumzuwuseln. Voller Energie und voller Pfützendreck am Saum. Die Alten am Rande schlugen entsetzt amüsiert die Hände zusammen. Vor allem, als einer von ihnen der Brautstrauß in den Schoß flog. Dann wurde wieder getanzt, mit ländlicher Nonchalance, Hand in Hand und Hand um Schulter oder Taille, nach altbewährtem Dreh. Dazu volkstümliche Stimmungsmusik („Ein wie-ßer Schwaan / zie-het den Kaahn / mit der schö-nen Fi-sche-rin / auf dem blau-en See da-hin ...“ und der unvermeidliche „Holzmichel“, der – Jaaa!!! – noch lebt!). Befremdlich, aber es passte von Bier zu Bier immer besser, wie ich fand.
Vor dem Poltern wurden offenbar ganze Sanitärgeschäfte und Gärtnereien geplündert. Ein Traktor kam beispielsweise mit Anhänger und Massen an alten Tonblumentöpfen in der stolz erhobenen Baggerschaufel an. Nachdem der Fahrer diese ausgeleert hatte, stieg er aus, sagte den vor dem Tor Versammelten trocken „n´Abend!“, öffnete die Seitenklappe des (nicht einsehbaren) Anhängers, stieg wieder ein und setzte den hydraulischen Kippmechanismus in Gang. Die Umstehenden traten in ungewisser Erwartung, was da gleich rausscheppern werde, zurück. Und: Die Ladung, welche am Straßenrand in Scherben ging, bestand nur aus einem einzelnen (zerbrochenen) Krug. Die Art Humor gefällt mir.
Ja, und anderntags radelte ich wieder die Strecke nach Berlin zurück.
Himmelfahrt war ich wie letztes Jahr mit dem Kanu in Mecklenburg unterwegs. Aus der wild-romantischen Umtragestelle zwischen dem Plätlinsee und dem Klenzsee war auf dem Areal eines über 120 Jahre alten Wustrower Bauernhofes ein „Kanuhof“ geworden. Mit Bootsverleih, WC und Waschmöglichkeiten, mit Pacht fürs Zelten und – jeder Menge Durchreisender. Tagsüber blinkerte ich nach Hechten und hoffte, dass es nicht regnen würde. Denn am Himmel wechselten sich Cumulus- mit Regenwolken ab. Manchmal kam aber auch die Sonne durch und wärmte mich, während ich auf einem Steg döste oder heißen Kaffee trank. Marlboro-Feeling, nur ohne Zigaretten. Für den großen Fischfang war es jedoch zu kalt. Ein untermaßiger Hecht, ein annehmbarer Barsch, eine Güster, eine Plötze.
Trost gibt es da oben in solchen Fällen immer noch in der Fischräucherei von Rheinsberg, wo es neben Zuchtforelle und -lachs Selbstgefangenes wie Maräne, Barsch und Schleie gibt.
Dazu abends am Lagerfeuer ein Bier und die Bekanntschaft mit Karateka aus Rheinsberg oder einer geselligen Truppe aus Dresden. Mehr braucht es nicht. Eine Gymnasiallehrerin hatte tatsächlich ihrer Gitarre dabei und belebte mit Evergreens den vollkommenen Mythos von der Lagerfeuerromantik. Authentizität statt Retro. Es wurde mitgesungen. Leise. Und die dunkle, kalte Welt um uns wurde einfach und gut. Wie damals ..., als Erinnerungen begannen.
Einfach und gut ..., bis ein Waschbär kam und uns skeptisch beäugte, als wären wir ein paar idealistische Dinosaurier, die er nicht fürchten muss.
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