Es gibt immer Gründe, warum man gerade Weihnachten mit dem Zug das Weite sucht. Dass es am kaputten Auto liegt, ist nur einer. So saß ich am 2. Feiertag morgens allein in einem 2.-Klasse-Abteil, fröstelte ein wenig und blinzelte in die märkische Sonne. Ich redete mir ein, froh zu sein, der Völlerei zu entkommen, dem Fernseher und der Langenweile. Aber so recht klappte es nicht, denn irgendwie bleibt die Reiselust bei der Deutschen Bahn immer auf der Strecke. Zum Beispiel kommen gerade dann die Schaffnerin und überlauten Durchsagen, wenn man unmittelbar in seinen Schlaf zurückgefunden hat. Also las ich mir die Zeit mit Stuckrad-Barres "Remix" tot. Genau das Richtige für eine Fahrt. Und irgendwann kam tatsächlich so etwas wie weihnachtliche "Besinnlichkeit" auf (Stuckrad-Barre hasst dieses Wort, im Grunde zu recht): wechselnde Schneelandschaften draußen, wohlige Wärme drinnen, einlullende Fahrtgeräusche, schummriges Vormittagslicht, ein Bahnhof, einzelne Zusteiger, die mich aber nicht weiter kümmerten. Bis "Familie Flodder" vor meiner Abteiltür stehen blieb! Erst "der Große" (etwa 13, fett, Igelfrisur, grüne Bomberjacke, debiler Gesichtsausdruck), dann "der Kleine" (etwa 8 und nichtssagend) und – hüftgeschädigt hinterherhinkend - Mutter Flodder (auf jeden Fall älter aussehend, rausgewachsene Dauerwelle, und natürlich auch fett).
Der Große (kurzer Blick auf mich, dümmlich näselnd, unsicher die Hand am Türgriff): "Hier?! Hier ist noch was frei ..."
Die Mutter schweigt.
Der Kleine glotzt mich an wie den Weihnachtsmann. Ich gucke grimmig zurück, als seien von mir keine Geschenke zu erwarten und wende mich – wissend, was kommt, und in Gedanken schon die Flucht ergreifend – dem Fenster zu. Vogel-Strauß-Taktik.
Da geschah das Weihnachtswunder! Mutter Flodder hatte die lange kurze Zeit über das Reservierungstäfelchen (Reservierung / Location / Prenotazione / Reservations), das leere (!!!) Reservierungstäfelchen studiert und sagte: "Wir müssen weiter ... Hier steht Re-ser-vie-rung." Und weg war der Spuk! Ich konnte mein Glück nicht fassen. Welch eine Bescherung!
Am nächsten Bahnhof setzte sich einzig eine junge Frau zu mir. Dagegen lässt sich natürlich nichts sagen.
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