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Sonntag, 16. August 2015

153 | Laissez-faire


Sommer in Brandenburg. Ausschlafen, bis ich vom Tellerklappern eines nahe gelegenen Campingplatzes geweckt werde, mir eine Tasse Kaffee aufbrühe, ein wenig schreibe, mir eine zweite Tasse mache, frühstücke und barfuß runter zum See gehe.
Vom Steg aus blinkere ich nach Barschen, beobachte das ferne Treiben an einer Badestelle, einen distanzierten Haubentaucher und eine Ralle. Dann ein Biss mit geringem Widerstand. Der rangekurbelte, herausgehobene Bursche hat seine Stacheln aufgestellt und sieht prächtig aus, ist aber zu klein für eine Mahlzeit und wird vorsichtig ins flaschengrüne Wasser zurückgesetzt. Daraufhin beißt außer der Sonne nichts mehr. Die Haut beginnt zu spannen, Schweiß den Rücken runterzulaufen. Kurzentschlossen lege ich die Rute hin und springe in den See, als wollte ich nachsehen, wo die Fische bleiben. Aber ich will rüber zu den Sandbänken des nördlichen Ufers. Will einmal mehr feststellen, dass es im Sommer fast nichts Schöneres gibt, als durch einen See zu schwimmen, seinen Körper zu spüren, sich frei zu fühlen. Allein und doch nicht allein. Von blauen Libellen, trägen Wolken und sich auflösenden Erinnerungen begleitet.
Wieder zurück werfe ich den Blinker noch etliche Male aus und fange weitere, wenn auch ebenfalls untermaßige Räuber, um sie allesamt zu begnadigen. Dann gehe ich wie Hans im Glück nach Hause, gönne mir im schattigen Garten die Hemingway-Biografie und reichlich Wassermelone.
Was für ein Leben: Keine Verpflichtungen, kein Zeitdruck, kein Handy. Genau wie früher.

Mittwoch, 12. August 2015

152 | Lieblingsorte II


Heute mal wieder bei Dussmann gewesen. Vom S-Bahnhof Friedrichstraße kommend wie immer nicht durch den Haupteingang, sondern durchs Nebentürchen in der Dorotheenstraße geschlüpft.
Dort geht es nämlich ruhiger zu und ich als Biografien-Junkie stehe gleich vor dem richtigen Regal.
Nach den drei Kafka-Bänden von Reiner Stach war heute etwas Kurzweiliges dran: „Hemingway“ von Thomas Fuchs.
Nachdem ich bezahlt hatte, schlenderte ich noch herum. Wobei ich den 2. Stock wegen Umbaumaßnahmen aussparen musste. Bevor ich ging, kehrte ich zur Biografie-Ecke ins Erdgeschoss zurück. Dort ist meistens so wenig los, dass ich mir wie in der Heimatstube eines sommerlichen Ostseebades vorkomme. Während gleichsam alles am Strand liegt und Krimis schmökert, betrachte ich Coverbilder von A-, B- und C-Prominenten. (Gesichter und Posen verraten ja so viel!) Manchmal nehme ich auch im Ledersessel am Nebentürchen Platz und lese ein, zwei Bücher an. Weil darin immer steht, was das Titelbild verschweigt.

151 | Lieblingsorte


Gestern Abend war ich an einem meiner Berliner Lieblingsorte: an der Strandbar des Monbijou-Parks. Saß am Spreeufer vor der Bodemuseum-Kulisse, schlürfte Caipi, hörte Salsa und beobachtete die Tänzer.
Auf der ebenerdigen Bühne war ordentlich was los: Alte und Junge, Heteros und Schwule, Herausgeputzte und Alltagstaugliche führten unter anderem Cha Cha vor. Oder er sie. Die Musik, das Wetter, Palmen und Lichterketten verbreiteten Urlaubsstimmung und Berlin spielte seinen Charme aus.
Oben an der Bar neben dem Monbijou-Theater herrschte ebenfalls Hochbetrieb. Aber hier macht oft sogar das Anstehen Spaß. Weil es schnell geht und genug zu sehen gibt: lässig arbeitende Barkeeper und ungezwungen wartende Gäste.
Ein kleiner Abendspaziergang durch den Park, schon ist man da. Selbst wenn man nicht tanzt und allein kommt, besteht keine Gefahr, in melancholisches Grübeln zu verfallen. Denn das Flirt-Potential ist groß und die Lebensfreude lässt sich gut mit nach Hause nehmen.

Mittwoch, 5. August 2015

150 | Dinge IV


Der Ring


Vor anderthalb Jahren verstarb meine Lebensgefährtin. Seitdem trug ich einen silbernen Ring mit ihrem Fingerabdruck. Er tröstete mich, gab mir Halt, ließ sie bei mir sein. Wie ein Ehering sah er aus. Ja, sah. Denn vorhin, als ich am felsigen Strand ins Meer stakste, riss eine Welle mich um und mir den Ring vom Finger.
Mein erster Gedanke: Oh nein! Mein zweiter: Ich muss ihn finden! Trotz der Brandung und des Gerölls. Und während ich mehr oder weniger haltlos zu suchen begann und auf ein blinkendes Wunder hoffte, kam mir der dritte Gedanke: Was, wenn sie es war, die mir den Ring nahm? Um mich freizugeben. Weil sie ihren Platz in meinem Herzen ohnehin sicher weiß. Sie, meine Liebe, mein Engel. Möglicherweise wollte sie mich vor dem Dilemma bewahren, den Ring eines Tages abzulegen, ohne es wirklich zu können. Zuzutrauen wäre es ihr. Sie war ja so pragmatisch in vielem. Sie war überhaupt so vieles. Und so vieles mehr.
Dann tauchte ein weiterer Gedanke auf: Vielleicht will sie mich testen. Will sehen, wie ausdauernd ich den Ring suche. Und das tat ich, keine Frage. Und während die Wellen hin und her wogten, dachte ich mit angeschwemmtem Pathos: Das Meer gibt, das Meer nimmt. Genau wie das Leben.
Etwas später wollte ich nach dem erfolglosen Unterfangen wenigstens Ersatz mitnehmen: einen Stein. Nur welchen? Der ganze Strand ist voller Steine! Da verließ ich mich auf meine Intuition (mehr hat man im Zweifel ja nicht) und entschied mich für diesen hier:
Noch etwas später kehrte ich erneut zum Strand zurück. Das war ich mir schuldig. Und ihr sicher auch.
Während ich über den nackten Ringfinger strich, fühlte ich wieder die Lücke, die sie hinterlassen hatte. Aber mich tröstete ein vorerst letzter Gedanke: Jenes Bild, wie das von ihr so geliebte Meer sich den Ring holt und in sich verschließt, hätte ihr gefallen. Genau wie die Slapstick-Nummer, als das Meer mir vorhin die Füße wegriss. Und mich doch wieder aufstehen ließ.

Sonntag, 2. August 2015

149 | Kreta


Aber es hätte auch Mallorca sein können. Oder Malta. Im Hochsommer nicht die idealsten Ziele, doch ich will nicht klagen. Also Kreta. Das Mittelmeer ist klarer und wärmer, als ich es in Erinnerung hatte. 1992 war ich schon einmal hier, am Hippie-Strand von Mátala. Bin mit dem Mofa rumgefahren, habe mir eine Schlucht, eine Höhle und das Kloster von Arkadi angesehen. War auf der Suche nach Ursprünglichkeit und mir selbst. Heute reicht es mir innezuhalten, im Schatten zu lesen, unter der Ikarus-Sonne zu schwimmen und auf kühlenden Wind am Abend zu hoffen. Das Alter eben.
Von der Eurokrise ist auf Kreta kaum etwas zu spüren. Nur dass die Urlauber nicht mehr so in Scharen kommen, wie mir ein Supermarktverkäufer bestätigte. Für die Kreter tut es mir leid, für mich als Touristen nicht. Und wenn ich vor Sonnenuntergang am halbwegs menschenleeren, felsigen Strand spazieren gehe, habe ich das Gefühl, die Insel wäre schon mit ganz anderen Sorgen fertig geworden.
Ich schaue raus aufs Meer und denke für einen winzigen Moment an die Bootsflüchtlinge, an die lebenden und an die toten, und daran, wie gut es mir im Grunde geht: Der letzte Winter ist vergessen und der Alltag fern. Mein Körper entsinnt sich an das Kreta-Feeling vor 23 Jahren und das Meer brandet gegen das Zikadengezirpe an.
Abends, wenn die ersten Sternschnuppen fallen und sich ein aufgeblasener Honigmond der Handy-Kamera verweigert, weht mich von irgendwoher ein sentimentales Lied an. Doch ich will mich nicht der Melancholie hingeben, dieser Femme fatale des Herzens; dafür ist mir der Urlaub zu kostbar. Gleich nach dem Lied ist auch Schluss damit. Spätestens morgen.