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Mittwoch, 7. Februar 2007

082 | Groß Zicker/Mönchgut



Der dritte Tag sollte gemächlich werden. Trotz des anfangs unbeständigen Wetters beschloss ich, mich mit dem Auto und Fotoapparat auf Motivsuche zu begeben. Ich fuhr aufs Mönchgut nach Groß Zicker. Im Winter ist es ein idyllisches Fischerdorf mit auf Eis gelegten Heringen vor der Anlegestelle. Die reetgedeckten Katen deuten aber auf den Sommer mit weitaus besseren Einnahmequellen: Touristen.



Nun gut, ich bin schließlich auch einer.
Ein besonderer Hingucker und Hingeher ist die Dorfkirche von 1360. Die befindet sich mit umsäumenden alten Grabstellen neben dem Hotel und Fischrestaurant „Boddenblick“. Dort lässt sich auch leckerer Fisch essen, vor allem aber – wenn man aus der Kälte kommt – warmer Apfel- oder Pflaumenkuchen. Von der Oma mit „gouder Budder“ gebacken. Dazu eine heiße Schokolade, was will man mehr.
„Ist aber ein hübscher Ort“, sagte ich zur jungen, stämmigen Bedienung. Könne sein, erwiderte sie trocken, aber sie sei noch nie im Ort gewesen. Das ließ mich stutzen. Laut Autokennzeichen (es stand nur ein Kleinwagen vor dem Haus) musste sie aus der Müritz-Gegend kommen. Doch sie sprach die Zuckerbäckerin beim Betreten der Küche immer mit „Oma“ an, manchmal so laut, dass die Handvoll Gäste ihren Spaß hatte: „Oma! Ich soll dir für den Kuchen ein Kompliment machen!“ Wie in dieser alten Werbung mit Hella von Sinnen: „Ernaa!! Was kosten die Kondomäää?!!!“
Na und wenn das ihre Oma war, wenn die in Groß Zicker sogar wohnte, warum kennt sich die Enkelin in dem vielleicht 100-Seelen-Nest nicht aus? Und warum muss sich der Gast wie an einer Tankstelle den Schlüssel für die Toilette geben lassen? So viele Nichtgäste mit unerledigter Notdurft liefen nun wirklich nicht in Groß Zicker rum. Aber trotz dieser „regionalen Besonderheiten“ war es im „Boddenblick“ wie im Ort sehr „püschelig“, wie eine Hamburger Freundin gesagt hätte.





Das „Pfarrwitwenhaus“ von 1723 ist mit seinem zipfelmützenartigen Rohrdach natürlich „das Postkartenmotiv“. In dem Haus aus Holz und Lehm kamen einst mittellose Pfarrwitwen unter. Und bis 1984 wurde die Kate noch bewohnt, bevor man ein Museum daraus machte, um den Touristen etwas zu bieten.
Wer zuletzt hier lebte, würde mich natürlich interessieren. Vielleicht eine in die einsamen Jahre gekommene Seemannsbraut.

Unweit vom Pfarrwitwenhaus bündelte und schnürte ein Mann bei Sonnenschein Binsen für die Reetdächer. Aus seinem daneben stehenden offenen Auto sang Cat Stevens „Lady D'Arbanville “. Der Mann drehte lauter, was mir gefiel; weil es zur Stimmung passte und weil ich das sentimentale Lied schon immer mochte. Backsteinwände wurden von Baumschatten gestützt, von den moosigen Schilfdächern tropfte getauter Schnee.



Auf dem Rückweg machte ich Sonnenuntergangsaufnahmen zwischen Lobbe und Middelhagen: das letzte von 18 Windrädern, mit dem früher für die Landwirtschaft Wasser aus dem sumpfigen Boden gepumppt wurde, zwei nebelumwallte Hünengräber bei Lancken-Granitz, Rehe in der Dämmerung. Aus ferner Nähe vernahm ich das Eisenbahnsignal des „Rasenden Rolands“.



Aber ist schon komisch: Vor Ort spürt man oft die Magie einer Landschaft, das, was Caspar David Friedrich festgehalten hat, aber wenn man sich die Bilder am Rechner ansieht, wirkt vieles nur hübsch oder gar kitschig.

Den Abend beschloss ich in Binz in der „Brasserie Villa Salve“. Zwischen dem 2:0 und 3:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Schweiz machte ich mich über Dorsch mit Rosmarienkruste und Weißburgunder her.

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