Seit dreieinhalb Monaten poste ich ernsthaft bei Instagram. Anfangs jeden Morgen mit immer genau einem selbstgeschossenen Foto, später zwei, drei oder vier am Tag. Das Feedback ist unmittelbar und kommt größtenteils in der halben Stunde nach dem Posting. Wie das Leckerli für einen dressierten Pudel. Nur dass es statt „Leckerlis“ „Likes“ gibt - und manchmal einen Kommentar oder einen neuen Follower („Abbonenten“). Von denen - so meine erste Lektion - gibt es zwei Arten: Die, denen tatsächlich gefällt, was du mit 700 Millionen Usern teilst. Und die, welche einen Tag später wieder abspringen, nachdem du aus Dankbarkeit und Dummheit bei ihnen aufgesprungen bist.
Einige Instagramer posten ausschließlich Fotos von Blumen, andere Bilder ihrer Katze. Und wieder andere inszenieren Sonnenuntergänge oder Ähnliches. Das stelle ich mir anstrengend vor. Weil es die Vielfalt einem Prinzip unterwirft, das den eigenen Account - und somit die eigene Person - einzigartig erscheinen lassen soll. Was machen diese Instagramer, wenn Blumen verblüht, der Himmel bewölkt und die Katze weggelaufen ist?
Meine zweite Lektion bestand darin, zu erkennen, welche Fotos immer gehen und welche trotz eines gewissen Aufwands nur bedingt. So bekommt ein Streetart-Pic fast immer Applaus. Als sei man der Straßenkünstler himself und nicht der Paparazzo. Während ein gut recherchierter, knackig gehaltener Text unter dem Foto zuweilen kaum gelesen wird.
Streetart like ich selbst oft. Aber manchmal, vor allem, wenn ich das Bild zum x-ten Mal sehe, langweilt es mich. Genau wie Selfies oder totbearbeitete Wow-Sternenhimmel-Aufnahmen. Ich mag unprätentiöse Entdeckungen. Witzige Details, die untergegangen wären, hätte sie ein kluger Beobachter nicht festgehalten. Ich mag Fotos von Leuten, die einen Blick für Motive haben und etwas vom Fotografieren verstehen. Die Licht für sich arbeiten lassen und Unscheinbares zu Stars machen. Ich mag auch Sonnenuntergänge, wenn sie „das gewisse Etwas“, den „Zauber des Augenblicks“ verstrahlen. Oder wenn sie das Bekannte und oft Kopierte auf eine neue, einzigartige Weise erzählen.
Lektion Nummer drei: Missverständnisse. Heute Morgen postete ich einen Schnappschuss von gestern. Ein großes, um einen Bauzaun geschlungenes Drahtherz. Herzen sind zwar fast immer kitschig (und folglich gefällig), aber das da hatte etwas, wie es halb gefangen, halb befreit am Rande des Bauschutts lag. Also schnell mein Smartphone gezückt und ein Schwarzweiß-Bild gemacht. Anschließend die Überlegung: Welches Zitat passt dazu? Irgendwann fiel mir ein Moby-Song ein: „Why does my heart feel so bad?“
Meine Freundin, die ebenfalls bei Instagram hochlädt, wusste, dass sich mein Herz nicht schlecht fühlt. Mittlerweile weiß sie auch, dass man bei künstlerischen Arbeiten (Fotos mit Bildunterschriften zähle ich dazu) nicht von der kreativen Aussage auf die Befindlichkeit des Kreativen schließen darf. Nicht immer jedenfalls. Und dennoch: Sie sorgte sich - wie man sich früher wegen der Nachbarn sorgte -, was andere (Instagramer) davon halten könnten. Deshalb auch - als Richtigstellung - dieser Blog-Eintrag. So war ich nicht deprimiert, als ich aus einem melancholischen Hesse-Gedicht zitierte und denke nicht, „immer, wenn es regnet“, an eine Anna, die „von hinten wie von vorne“ --- Ich fand zwei Textauszüge einfach nur für zwei Fotos passend, nicht mehr und nicht weniger.
Alle Bilder werden dagegen mit dem unterschrieben, was mich einmal begeistert hat, leiden ließ oder zum Nachdenken brachte. Freundliche Grüße von persönlichen Erfahrungen und einer extrahierten Denkweise. Da soll sich nun einer zurechtfinden.
Der heutige Herz-Schmerz-Schnappschuss hat von all meinen bisherigen 235 Beiträgen übrigens die meisten Likes erhalten. Was mich einerseits freut. Aber verstehen muss ich es nicht.
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