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Sonntag, 28. September 2008

096 | Es gibt so Tage

Es gibt so Tage, da scheint die Sonne schon am Morgen zeitlos ruhig. Man ist müßig, macht sich einen Tee und liest die Sonntagszeitung, als würde man ein Entspannungsbad nehmen.
Dann gibt es so Tage, da weiß man hinterher nicht einmal, ob die Sonne überhaupt aufgegangen war. Also man macht sich über alles Mögliche Gedanken, nur nicht über die Sonne. Aber eigentlich machen die Gedanken alles Mögliche mit einem selbst.

Man geht wie ein Geist durch die Straßen seiner Kindheit. Befinden sich diese Straßen wie bei mir in Berlin und ist die Kindheit schon ein viertel Jahrhundert her, gibt man es nach einer Weile sogar wieder auf, jemand Vertrauten erkennen zu können. Sogar die Namen am Hauseingang, dem Eingang zum Ort der Geburt & Geborgenheit, sind fremd. Die Tür ist verschlossen.
„Aber wenn die Laternen angehen“, flüstern die Gedanken, „kommst du wieder hoch.“ Die Laternen gehen nicht an, und mich bringt so schnell gar nichts hoch.
„Wer in Berlin wehmütig wird, hat verloren“, flüstert es weiter. „Weiter!“, flüstere ich echohaft zurück.
Ecke Choriner / Schwedter sitzen drei Typen vor einer Kneipe. Einer mit Glatze, Anzug und Zuhälterbrille ruft mehrfach in sein Handy: „Hier spricht Gürgen Mengele! Gürgen Mengele!!" Er sagt nicht Jürgen, auch nicht Josef. Die beiden anderen kichern.
Ich frage nicht nach Sinn und Unsinn, suche keine Zusammenhänge.
„Weiter!“
Im „Mauersegler“, der Terrassen-Kneipe am Mauerpark, gibt es eine Hochzeit. Aber keiner sieht nach Hochzeitsgesellschaft aus. Eine angetrunkene Band rockt „Sah ein Knab ein Röslein steh´n“. Das „Röslein! Röslein!“ klingt nach Lindenberg. Und nach „Gürgen Mengele!“
Nebenan in der Bernauer eine Mauergedenkstätte: große Schwarzweißbilder an der Hausfassade, mit hölzernem Aussichtsturm. Von diesem Westberliner Aussichtsturm aus winkten meine Großeltern meiner Mutter zu, die mich im Kinderwagen auf der anderen Seite hin und her schob. Sie wagte nicht zurückzuwinken. Sie weinte nur leise.
Hier sah ich später mit meinem Cousin verstohlen in den Westen rüber. Aus einem Flurfenster, zu dem wir uns nachts geschlichen hatten. Jetzt ist die Mauer genauso verschwunden wie meine Großeltern. Und meinen Cousin sehe ich auch nur noch selten.
„Weiter, immer weiter!“
Auf dem Aussichtsplateau des Wasserturms wirken die Leute wie geisterhafte Besucher einer Gartenparty. Einige haben ihre Kinder mitgebracht, andere spielen Boule. Aber jedes Grüppchen sieht durch die anderen hindurch. Denn Geister können einander nicht erkennen. Selbst die Kinder blicken nur dem Gummiball nach, der dem Abhang zurollt.
Da denkt es in mir, dass ich selbst nur ein Geist bin. So wie Dr. Crowe in „The Sixth Sense“, der gar nicht weiß, dass er bereits tot ist.
„Du bist einer von ihnen“, flüstert es in mir.
„Aber ich kann sie sehen“, flüstere ich zurück.
Sogar den Wind, der durch die sich verfärbenden Blätter geht, kann ich sehen. Und die Wolken, die noch vor ein paar Wochen am Himmel trieben. Dann lassen mich meine wirren Gedanken, die mich hergeführt haben, im Stich.
Und so warte ich mit den anderen Geistern am Wasserturm. Wir warten auf die vermeintlich fehlenden Gäste. Wir warten dort noch, wenn längst keine Gartenpartys mehr stattfinden. Wenn die Wintersonne die Sehenden blendet, bis sie ihre Augen geschlossen halten. Bis sie von wärmeren Tagen träumen. Falls die wirren Gedanken sie lassen.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

fühle mich wohl in deiner leselounge,lasse mich zwischen deinen zeilen fallen und verführen-schreibe weiter so! -komme gerne wieder-

Anonym hat gesagt…

ich liebe dich

Anonym hat gesagt…

Im Herzen die Vergangenheit, die sich nicht löschen lässt, auch wenn man's noch so möchte.

Und dennoch..alles fließt...und alles ändert sich...doch was bleibt, ist die Liebe, in einer kleinen Ecke des Herzens.

Beim Lesen der Texte ist das Gefühl wieder da, als wär es gestern gewesen.......

Eine Fremde

Anonym hat gesagt…

Wie? Schon wieder ne Neue?
tztztz mal blond, mal braun, ich liebe alle Frauen .......

Mancher ist verliebt in die Liebe und weiß gar nicht, was Liebe überhaupt bedeutet.

Anonym hat gesagt…

tja,was soll man dazu noch sagen!
so ist er halt!

Anonym hat gesagt…

Mir tun nur die Frauen leid.Er weiss nicht was Liebe bedeutet.Ob er jemals erwachsen wird?Ich denke nicht!

Anonym hat gesagt…

Ich dachte hier geht es um Literatur, schöne Texte, aber das scheint hier eher die Ecke der Verflossenen zu sein?