Es ist heiß. Seit Wochen. Selbst für Leute, die an der Copacabana zu Hause sind.
Eigentlich schön, in luftigen Sachen durch Berlin zu strolchen, wenn man sonst nichts weiter zu tun hat. Keine Tasche dabei, keinen Rucksack auf, nur die Sonnenbrille; City-Luxus pur. Wären da nicht diese Temperaturen. Wer kann, duscht dreimal täglich oder fährt an die Havel zum Baden. Petzow ist sehr schön. Klassische Parkatmosphäre. Erinnert mich an den Goethe-Park in Weimar. Wer im Auto eine Klimaanlage hat, fährt unbeirrt von Sommerlochthemen nach Italien, wer irre ist, geht mittags joggen. Und wer arbeiten muss, freut sich auf den Biergarten am Abend.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich im Hochsommer gerne in Ausstellungen gehe, aber in den bedeutsamen gibt es auch Klimaanlagen. Eines der schönsten Bildermuseen Berlins ist seit der Wiedereröffnung im Dezember 2001 die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel. Dort, wo auch das Morcheeba-Konzert stattfand.
Merkwürdig, Caspar David Friedrich wollte jetzt so gar keinen Eindruck bei mir hinterlassen. Zu viel Mondenschein und Sehnsuchtshorizont. Bisschen wie klassische Theaterkulissen. Selbst Böcklins „Toteninsel“ und sein Selbstporträt mit Tod sind im Sommer kaum mehr als ein Kinderschreck. Das sehe ich im Herbst bestimmt wieder anders, da nicke ich bedächtig und erinnere mich an ein sentimentales Lied von Element of Crime.
Ich dachte, als ich vor der „Toteninsel“ stand, nicht einmal an Heinz Knobloch, den von mir verehrten Berlinschriftsteller. Am 24. Juli ist er mit 77 Jahren an Krebs gestorben, und ich war, als ich davon erfuhr, ernsthaft betroffen. Seine Feuilleton-Bücher über Berliner Friedhöfe, historische und gegenwärtige Ereignisse brachten mir nicht nur Schriftsteller von Heine bis Tucholsky anekdotenhaft nahe – ich begann sogar ihre Werke zu lesen. Und tue es noch heute.
Als ich allmählich zwanzig Bücher von Heinz Knobloch aus Antiquariaten gefischt hatte, wollte ich ihn in Pankow besuchen, mich für die Leseimpulse bedanken. Ich ging sogar mit seinen Büchern Berliner Friedhöfe, Straßen und Plätze ab. Um zu sehen, was ich vorher nicht wusste.
Ich wollte, obwohl ich mir blöd vorkam, ihm persönlich dafür danken, bevor von ihm nur noch die Bücher existierten.
Er empfing mich. Wir unterhielten uns und tranken Tee. Das ist jetzt über 10 Jahre her. Er empfahl mir am Ende, Chronist meiner Zeit zu sein und ich durfte mir eines seiner Bücher aussuchen, welches er mir mit Exlibris und Widmung schenken wollte. Dabei war ich es, der kam, um sich zu bedanken. Ich nahm verschämt den „Blumenschweijk“, mein 21. Knobloch-Buch. Einige Zeit darauf traf ich ihn im Weddinger „Lesecafé“ wieder, über das ich einen Artikel für die Berliner Zeitung schreiben wollte. Den Tipp dafür hatte mir Heinz Knobloch auch geschenkt.
Charlotte von Mahlsdorf erzählte an diesem Tag aus ihrem Leben und spielte auf einem ihrer Gründerzeit-Museums-Grammophone Schellack-Platten ab. Schlager, die von ganz alten Café-Besuchern und Zuhörern mitgesummt wurden.
Charlotte von Mahlsdorf ist nun auch schon tot. Und die Besucher der Alten Nationalgalerie rückten neben mir etwas näher an die „Toteninsel“ ran. Als würde von daher ein „Carpe diem“-Flüstern kommen wie im „Club der toten Dichter“.
Aber dass ich davorstand und in dem Moment der Toten nicht gedachte, die ich als Lebende gekannt hatte, hätte Heinz Knobloch sicher gefallen. Er liebte auf Friedhöfen spielende Kinder. Und jegliches, auch das Gedenken, hat eben seine Zeit. Ich tue es jetzt und hier.
Leichtschrittig ging ich weiter und fand lebendigen Gefallen am gemalten Satin-Glanz eines Kleides, am Faltenwurf der Marmor-Prinzessinnen von Schadow und an Adolph Menzels „Balkonzimmer“ von 1845.
Das wirkt auf mich mindestens ebenso geheimnisvoll wie das Lächeln der Mona Lisa. Es ist auf eine unfertige Weise vollkommen, und wegen der fehlenden Personen im Zimmer bleibt Raum, den der Betrachter mit seinen Überlegungen füllen kann. Sind die Bewohner des Zimmers auf dem Balkon oder nebenan? Wie viele sind es?
Bei mir ist es ein Ehepaar in den Vierzigern, das an einem Sonntag Freunde zu Besuch hat. Der oberflächliche Betrachter sieht nur einen vordergründig bedeutungslosen Zimmerausschnitt. Er sieht nicht den gedeckten Tisch im Garten und nicht die Tafel im Salon (falls es regnet). Er sieht nicht die kleinen Fliegen, die um den Deckenleuchter kreisen und nicht das Bedienstetenmädchen, das sich gleich unbeobachtet vor dem Schrankspiegel drehen wird. Oder doch? Was hätte Heinz Knobloch gesagt?
Weniger herrschaftlich als auf den meisten Bildern der Alten Nationalgalerie ging es am Sonntag in der Neuen Nationalgalerie am Potsdamer Platz zu. Da gibt es seit einer Woche bis zum 26. Oktober „Kunst in der DDR“ zu sehen. Nein, nicht „Kunst der DDR“, aber, ja – im Westen! Es war ein wenig wie im November ´89, als viele Ostberliner den Westen stürmten und sich völlig neu orientieren mussten. Ich gehörte schließlich auch dazu. Aber einige der Besucher schienen seitdem nur an Wahltagen ihre Wohnung verlassen zu haben und blickten so drein, als habe man sie nicht vierzig, sondern die letzten dreizehn Jahre, Pardon, beschissen. Ein älterer Mann hatte allerdings gelernt, seinen Mund aufzumachen. Er fragte sächselnd – Pardon auch für dieses Klischee, aber es war so – er fragte den Kartenabreißer, warum es hier keine Ermäßigung für Rentner gäbe.
„Die gibt es ja sogar im kapitalistischen Ausland wie Amerika!“, ereiferte er sich.
Der Kartenabreißer zuckte nur mit den Schultern.
Dass früher alles besser war, ließen sich die Besucher von den 390 Werken nicht einreden. Das konnten sie gar nicht. Dafür waren die Malereien, Filme und Fotos zu deprimierend. Von den Collagen und Assemblagen ganz zu schweigen. Zonen-Tristesse als Zeitkritik. Damals. Nur im Kunstunterricht stand anderes an der Tafel. Auch damals.
Der satirische Umgang mit der DDR-Zeit war überwiegend wohl erst hinterher möglich, wie im „Goodbye, Lenin“-Film oder in „Sonnenallee“. Denn dazu gehört schließlich Abstand. Um den bat im Übrigen auch ein Aufseher, der immer „Hallo!“ rief, wenn einer die Linie vor dem an die Wand gestellten Bilderdutzend (Installation!) übertrat. Und er sah aus wie der dicke NVA-Offizier im Kübelwagen auf dem Farbfoto gegenüber. Wer weiß, was einer war, bevor er Aufseher wurde.
Stilistisch hatten viele DDR-Maler vor allem auf Größen wie Picasso, Klee & Co zurückgegriffen. Aber es machte trotzdem Spaß, wieder nach politisch Deutbarem zwischen ihren Pinselstrichen zu suchen. Nur mit Abstraktionskünstlern wie Hermann Glöckner kann ich auch dann noch nichts anfangen, wenn sie wegen ihrer Realismusverweigerung den Ruch von Dissidenten mit sich bringen.
Fazit: Als DDR-Retrospektive nach wie vor nicht einfach, da die Grenzen zwischen offizieller, mutiger und bedeutsamer Kunst fließend und relativ sind. Zur Selbstfindung letzter richtungsloser Ostler mit Phantomschmerz eignet sich die Ausstellung mangels geringem Wiedererkennungswert jedenfalls auch nicht. Dennoch waren hier viele in Gesprächen vertieft, die offenbar immer noch Not tun.
„Kunst in der DDR“ wird auch jetzt noch eine streitbar große Sache und eine kleine Gesellschaftstherapie bleiben.
PS: Ich staune, wie redselig ich heute bin, dabei hatte ich überhaupt keine Lust, etwas zu schreiben. Aber ich las zum Beispiel Sven Regeners (Element-of-Crime-Sänger) „Herr Lehmann“-Roman weg wie nichts. Über die Vor-der-Wende-Zeit in Kreuzberg. Eben die andere Seite der Medaille oder der „Sonnenallee“. Kommt auch einen Tag vor dem der deutschen Einheit in die Kinos und ist von Leander Haussmann gedreht worden, einem Ossi.
Und ich ging in den letzten vier Wochen viel lieber in Freiluftkinos als dann darüber hier zu schreiben („Japon“ fand ich langatmig). Ich dachte mir, was soll´s, jeder steckt im Urlaub oder im Sommerloch, ist jedenfalls nicht im Internet unterwegs. Also klappe ich das Online-Tagebuch eine Weile zu, merkt sowieso keiner. Kommt sowieso kaum ein Feedback ...
Aber heute schon. Heute fragte eine Christine nach, warum ich mit den Einträgen so säumig sei. Recht hast du, Christine, dachte ich, und – mit den besten Grüßen – es gab ja auch wieder einiges zum Lesen.
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