Januar
Ich strich dir nach in abgeschlossnen Jahren
Durch offne Fragen und verpasstem Mut.
Nun streiche ich die Furcht aus deinen Haaren
Und bau ein Haus auf das, was in uns ruht.
Dort bietest du mir morgens lächelnd Tee an,
Und aus dem Vorrat ungeweinter Tränen
Leg ich dahinter einen großen See an
Mit Sonnenuntergang und rosa Schwänen.
Und lachst du noch an deinem Lebensende,
Dann will ich dich auf diesem See begleiten
Wohl bis ins auswegloseste Gelände.
Dort wolln wir uns zum Spaß um Falten streiten
Und streun die Altersflecken unsrer Hände
konfettiartig in die grauen Weiten.
Februar
Die Welt, auf Eis gelegt und schneebedeckt,
Tau´n wir uns auf im Bett beim Brunchen,
Genüsslich werden Finger abgeleckt
Und neu entdeckt, um damit rumzumanschen.
Erst malst du mir mit Kirschenkonfitüre
Ein Blümchen auf den nackten Bauch,
Bis ich darunter schon den Frühling spüre.
Wenn du dich drehst, spürst du ihn auch.
Schon schmilzt die Butter unter deinen Knien.
Du krallst dich in Croissants wie an das Leben,
Nach dem du oft aus dunklem Schlaf geschrien.
Dann fangen wir gemeinsam an zu schweben,
Als wollten wir aus Winterzwängen fliehn
Ins Land der Blümchen und der prallen Reben.
März
Die Felder sind grün und die Wege voll Schnee,
Darunter die rostenden Reste von Spuren.
Wir schleichen als erste hinunter zum See
Und synchronisieren das Ticken der Uhren.
Zwei Seeadler schreien am Himmel nach Jahren;
Wer ahnt schon, warum sie zurückgekehrt sind.
Sie werden es wissen und wir nie erfahren,
Dem Wasser voll Schweigen vertrauen sie blind.
Wir stehen am Ufer wie vor einem Graben,
Von Fluchtpunkten leise gebannt und bewegt
Und wissen doch auch noch, was wir an uns haben.
Du deutest auf Eis, welches uns nicht mehr trägt,
Und trotzig versuchst du ein Herz rauszuschaben,
Bevor uns der Hunger nach Hause verschlägt.
April
Wir wissen immer, was der andre will.
Spiel´n sie im Autoradio Evergreens
Und unser Lied, dann lächelst du erst still.
Dann bleibt ein Grasfleck auf der neuen Jeans.
Fast jeder Frühlingstag bringt ein Versprechen.
Der Kuckuck soll die letzten Zweifel holen
Und Wolken, die uns zwingen aufzubrechen.
Am Ende bleibt der Himmel uns gestohlen.
Denn hier gibt’s weitaus bessere Geschenke:
Hier unten riecht dein Haar nach frischem Dill,
Sooft ich mein Gesicht darin versenke.
Hier unten spielt „Forever young“ von Alphaville,
Hier unten fragst du mich, was ich jetzt denke.
Für immer, sage ich. Und weiß nicht, was ich will.
Mai
Birkengrün im Rausch lasziven Windes
Zweigt ins Blaue ab, so triebhaft leicht
Wie die Flugversuche eines Kindes,
Das im Schatten diesem Bäumchen gleicht.
Welchen Zwecken es so blass entstammt,
Wird egal, wo nur Bewegung zählt,
Und ein hoffnungsvolles Insgesamt
Zeigt sich sonnentrunken und beseelt.
Es gelingt dem Kind sich zu erheben,
Bis es sieht, wohin die Zeit verfließt,
Bis ihm ein entferntes Ziel gegeben.
Und ein Kind, das auf sein Ziel zuschießt,
Fällt aus heitrem Himmel in ein Leben,
Das den Kreis zu neuem Anfang schließt.
Juni
Der Horizont ist hitzig aufgegangen
Wie streunend gelbe Hundeblumen.
Die Freiheit nimmt das Fernweh dort gefangen,
Wo Staub zu Asphalt wird und zu Bitumen.
Auf Bahnhöfen beginnt es sich zu füllen.
Nur abseits liegen ein paar Gleise brach.
Sie schienen angebrochene Idyllen
Und zischeln lauten Zügen leise nach.
Lass alles, was uns hier den Mut zermahlt,
Im grundlos tiefen Sommerloch bestatten,
Weil neben uns die Auferstehung strahlt.
Gleich nach dem Dunstkreis übersprungner Schatten
Macht sich das erste Fersengeld bezahlt
Und löst die Zeit aus, die wir schon mal hatten.
Juli
Wenn du außer guten Sommertagen
Keine Heimat brauchst als letzte Antwort
Auf zurückgekehrte Kindheitsfragen,
Ist die Stadt für dich der beste Standort.
Groß genug, um sich darin zu finden,
Zu vergessen oder zu erschaffen;
Niemals aber wird die Stadt dich binden
Oder trösten, wo noch Wunden klaffen.
Ist dir jede Illusion genommen,
Wirst du schmerzhaft viele Freunde kennen
Und bist lachend überall willkommen.
Gerne wird man deinen Namen nennen,
Zeigst du dich bei Treffen nicht beklommen,
Und man wird sich leichter von dir trennen.
August
Es ist sehr still, seit sie vor Tagen ging,
Allein den Sommergeistern nachzulaufen.
Vor kaltem Kaffee und dem Brötchenhaufen
Liegt filmreif auf dem Küchentisch ihr Ring.
Zerplatzt vom Kochen steht ihr schales Ei.
Es trägt im Kalkkokon ein Madennest
Und hält den alten Traum vom Fliegen fest.
Der lebt und wächst heran und kommt nicht frei.
In sich gefangen bleibt ein Ausgegrenzter.
Erkennt im Spiegel sich der Schmetterling?
Er sucht nach Raupen und erblickt Gespenster.
Es war sehr still, als sie am Morgen ging.
Nur eine Fliege regte sich am Fenster,
An dem sie wie an einer Aussicht hing.
September
Die Stadt wirkt kühl und alt nach jedem Regen,
Der Sonnenbrände löscht auf Hausfassaden.
Das süße Obst aus unbekannter Gegend
Liegt unten aufgebahrt vor einem Laden.
Noch wird das Aasgeschrei der Nebelkrähen
Von Bussen überfahren. Doch es bleibt
Im Ohr und an den Haltestellen stehen
Die ersten, die es wieder heimwärts treibt.
Von Küsten kehr´n sie zur Vernunft zurück
Und kippen Zuckersand aus ihren Schuhen,
Bis nur das stört, was ihre Herzen drückt.
Sie füll´n mit neuen Büchern alte Truhen
Und schwör´n sich ein auf das erles´ne Glück
Und sind zu unruhig, um sich auszuruhen.
Oktober
Lange Schatten fluten bunte Wege,
Die im Dunkeln keiner mehr betritt.
Doch die Sonne, ausgebrannt & träge,
Nimmt noch Wanderer und Fernweh mit.
Und ein Junge, der die Zeit vergisst,
Macht sein Baumhaus bis zum Frühjahr dicht.
Dass er dann zu groß und ernsthaft ist,
Um im Laub zu spielen, ahnt er nicht.
Was bewahrt er sich von seinen Träumen?
Was verliert er beim Nachhausegehen?
Alles findet sich in neuen Räumen.
Bis die späten Wanderer verstehen,
Fallen Blätter gleichnishaft aus Bäumen,
Um auf Schattenwegen fortzuwehen.
November
In Elternhäusern riechts nach Sonntagsbraten,
Nach Winterspeck und dörflich heiler Welt.
Verschnupft wird vom Spaziergang abgeraten;
Wer weiß, ob sich das Wetter heute hält.
Da draußen geht es kalt zu, wird belehrt,
Auch wenn die Läden weihnachtswarm erstrahlen,
Bevor man sie für insolvent erklärt;
Nur noch Bestattungshäuser schreiben schwarze Zahlen.
Doch hälts mich nicht in überheizten Räumen.
Was nützen mir die wärmsten aller Lehren
Bei dem Gefühl, das Leben zu versäumen.
Und wie die letzten blaugefror´nen Beeren
Zerreißt es mich nach weißen Blütenträumen
Bereits am Anfang winterlicher Leeren.
Dezember
Die Liebe kam zurück wie erster Schnee
In müde ausgehauchten Morgenstunden.
Sie folgte mir zum Haus hinauf vom See
Und blieb und ließ mich unter ihr gesunden.
Ich werde niemals fragen, wo sie war,
Versuch ich´s auch an Fingern abzuzählen.
Was bleibt von diesem unfassbaren Jahr,
Muss reifen, um sich selbst herauszuschälen.
Daraus erwächst im neuen Jahr vielleicht
Ein neues Ziel, das sich am Start bewährt
Und niemals mehr von meiner Seite weicht.
Dazu auch noch ein Weg, der sich nicht sperrt,
Der führt und für ein ganzes Leben reicht
In Liebe, die mich leichter laufen lehrt.
Wanderers Jahr
Im Winter leb´ich von Almosen,
Im Frühjahr bin ich euer Mann
Und pflück´ im Sommer rote Rosen,
Mehr als ein Gärtner züchten kann.
Mit bitt´rem Hunger, süßer Gier
Schling´ ich die ganze Welt in mich.
Sie füllt mich aus und hält mich hier
Wohl bis zum Herbst noch sicherlich.
Dann gehe ich vor Jahresschluss,
ein sichres Obdach auszuheben
Für diesen ganzen Überfluss.
Ich hätte davon viel zu geben.
Doch wenn ich morgen sterben muss,
kann ich damit gut leben.
1 Kommentar:
Ihre Gedichte waren für mich sehr hilfreich. Ich bin 12 Jahre alt und brauchte Jahreszeitengedichte für ein Schulprojekt. Ich fand es auch nett das Sie sich so viel Mühe ,mit der Website gegeben haben. Also danke!
Wenn ich noch mal Hilfe in Sachen Gedichte brauche wende ich mich an Sie okay? Haha!
Hoffentlich lässt Ihre Dichtkunst und der Spaß daran nicht nach!
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