„At first flash of Eden we raced down to the sea / Standing there on freedom´s shore“
(Jim Morrison)
Berlin, Alexanderplatz. Die Sonne blendet. Erster Lichtblick des Jahres.
Ein Trommler mit Bob-Marley-Mütze sitzt schattenlos unter dem Fernsehturm wie unter dem Baum der Erkenntnis. Er gibt den Rhythmus des Frühlings vor. Die Klarinettistin neben ihm seine Fernweh-Melodie. Das eine fährt in die müden Knochen, das andere ins Herz der Erinnerung.
Aber der größte Zauber geht von der Sonne aus. Die Wartenden an der Straßenbahnhaltestelle wirken überrascht, selbst wenn sie ihre Augen geschlossen halten: Noch trägt keiner seine Sonnenbrille. Sinne sind offen; Masken bekommen menschliche Züge.
Eine Bacchantin in engen Bluejeans lächelt vorüber. Sie weiß die Blicke vieler Wartender auf ihrem Hintern. Blicke von Männern und Blicke von Frauen. Blicke von Genießern.
Niemand sieht die vier Fassadenkletterer am Fernsehturm, die 70 m über der Bacchantin wie Raupen des Eichenprozessionsspinners hängen. Vielleicht sind es auch Satyrn. Vielleicht ein Reinigungskommando. Oder Greenpeace-Aktivisten, die ein Transparent entrollen wollen. Doch niemanden würde es interessieren. Nicht heute. Denn nach all dem Medienwinter ist heute die Sonne aufgegangen. Und alles drängt raus.
(„Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge / Durch die Gärten und Felder zerschlägt“ echot es durch zu schließende Schulen.)
Tram und Schritte werden magnetisch von Parks und Straßencafés angezogen. Alles lächelt und bestaunt das Sonnenwunder, als wäre Bacchus persönlich in der Stadt, um sein Evangelium der Lebenslust zu verkünden.
Bloß auf dem Wochenmarkt welken rote holländische Tulpen in der Blüte ihrer Tage. („Die heiß´n ´Pretty Woman`. Brauch´n nua etwas Wassa, dann werd´n se wieda.“) Weißer Spargel liegt aus. Und Erdbeeren gibt es noch vor der Zeit zum Schleuderpreis.
Im Park jagen losgelassene Hunde vom Winterbrot fett gewordene Enten. Aus krustiger Wurzelrinde quellen lava-artig Feuerkäfer hervor und erstarren im Licht. Weiter oben durchbrechen Kastanienblätter klebrigbraune Knospen.
Darunter sitzen die Mädchen auf Bänken. Sie lesen oder schreiben Gedichte. Auf der Wiese zu ihren Füßen liegen die Männer im T-Shirt, gehen die Kroküsschen auf.
Als hätte Amor mit tausendfachem Beschuss Land & Leute befruchten wollen, ragen zig Frühblüher wie die Befiederung der Liebespfeile aus dem Boden. So keimen auch die Gefühle, so blühen die Blicke.
Berlin ist berauscht. Und du? Wie war dein Tag?
„Can´t you feel it, now that spring has come / That it´s time to live in the scattered sun“
(Jim Morrison)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen