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Sonntag, 8. Juli 2007

087 | "Die schönsten Franzosen kommen aus New York"

Gestern war ich in der Neuen Nationalgalerie, um mir die französischen Meisterwerke aus dem 19. Jahrhundert anzusehen, welche das New Yorker Metropolitan Museum of Art ausgeliehen hatte. Nach der MoMA also ein weiteres Massenspektakel.

Obwohl ich mir vor und zu Bildern gerne eigene Gedanken mache, gönnte ich mir einen Audioguide. Das hatte den Vorteil, dass ich mehr sah, weil ich mehr erfuhr. Außerdem bekam ich nicht viel von den überflüssigen Bemerkungen der anderen Ausstellungsbesucher mit. Nur einmal hörte ich einen Mann sagen: „Hier kann ich mich nicht in die Bilder versenken!“ Was hatte er auch erwartet? Man geht ja schließlich nicht in die Disco und beschwert sich darüber, dass man sich nicht in Ruhe unterhalten könne.
Mir gelang hingegen die zeitweilige Zwiesprache mit den Gemälden. Mal halfen die ersten Takte von Debussys „Clair de lune“ nach, mal sprach mich ein Bild direkt beim Vornamen an. Und es waren nicht immer die bekanntesten. Hier eine Idylle aus farbigem Licht, dort ein entrückter Gesichtsausdruck. Ich konnte mich in der „Disco“ tatsächlich etwas „versenken“. Es war wie eine VIP-Party, auf die ich mich gefreut hatte, bei der ich innehielt und die Prominenz in Ruhe betrachtete: Ingres, Degas, Manet, Monet, Renoir, Cézanne, Gauguin, Van Gogh ...
Auf einen alten Bekannten freute ich mich ganz besonders: Modigliani! Hier rückte er wieder in mein Bewusstsein, mit seinen Porträts und Akten voller Poesie. Obwohl Konturen und Flächen auf das Wesentliche zurückgeworfen sind, lassen sich Tiefe und Melancholie perfekt ausloten. Hinterstrahlt von Künstlerlegende und finaler Tragik: 1920 starb der junge alkoholkranke Bohemian an Typhus und ließ eine schwangere Frau und ein kleines Mädchen zurück. Aber Jeanne, so hieß seine 19-jährige Geliebte, stürzte sich einen Tag später vom Dach ihres Hauses in den Tod.
Modiglianis Tochter wuchs bei einer Tante in Florenz auf und wurde später die Biografin ihres Vaters. Eine therapeutische Lebensaufgabe.

Vor vielen Jahren reizte es mich, so zu leben wie Modigliani. Oder wie Jim Morrison. Nur wollte ich natürlich nicht so enden. Dann lieber wie Oscar Wildes Dorian Gray, der alle erdenklichen Gifte in sich aufnimmt, welche man ihm aber nicht ansieht. Eine alterslose Stil-Ikone der Jugend. Heute betrachte ich das Altern als philosophische Notwendigkeit, um sinnvoll mit dem Zeit-Guthaben umzugehen. Und ich lebe meistens vernünftig. Das ist die Voraussetzung für Dauer und Zufriedenheit. Aber das reicht natürlich nicht. Manchmal muss man sich eben etwas Gift unter die Hausmannskost mischen, um auf das Wesentliche zurückgeworfen zu werden, um Tiefe und Melancholie auszuloten.

Ließen mich die drei ausgestellten Modigliani-Bilder still und nachdenklich werden, so entzündeten Van Goghs „Schwertlilien“ und „Zypressen“ ein regelrechtes Feuer der Begeisterung in mir. Van Goghs Malerei muss man im Original betrachten, um sie fühlen zu können. Eine wahnsinnige Lebensgier scheint den glühenden Pinsel geführt zu haben, der züngelnde und qualmende Spuren hinterließ. Denn bei Van Gogh war alles Opferfeuer für die Sonne.

Die „schönsten Franzosen“ oder die Créme de la créme aus New York ist massengefällige Kunst, keine Frage. Aber das war sie ja nicht immer. Und wenn man seinen eigenen Weg durch die Ausstellung nimmt, seine Erfahrung in den Bildern widerspiegelt, dann hat das Ganze auch bewusstseinserweiterndes Potential. Man muss nur genau hinsehen.

Die VIP-Party ist übrigens noch bis zum 7. Oktober in vollem Gange.

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