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Sonntag, 13. September 2015

154 | In den Pilzen


Jetzt am Wochenende gab es die vielleicht letzten Spätsommertage in Brandenburg. Zuerst wollte ich angeln gehen. Aber dann reizte mich die Aussicht auf einen vollen Pilzkorb mehr, die Vorstellung, lange durch Brandenburgs Wälder zu streifen. Und da trotz mäßig ausgefallener Niederschläge im Fläming bereits Steinpilze gefunden worden sind, fuhr ich von Berlin aus hin.
Und fand Pilze. Aber fast nur Täublinge, die ich nicht sammle. Was sich nach einigen Stunden in meinem Korb zeigte, waren: drei Maronen, ein Goldröhrling und ein mittelgroßer Steinpilz. Mehr nicht. Doch weil die zum Trocknen vorgesehene Dürftigkeit von zahllosen Flöhchen umsprungen wurde, die offenbar im Steinpilz hausten, entschied ich mich, meine magere Ausbeute im Wald zu belassen.
Ein wenig enttäuscht war ich schon. Aber jeder noch so pilzlose Kiefernforst auf märkischem Boden enthält noch genug ausgleichendes Glücks-Potential: der würzige Waldgeruch, der Spaziergang an sich, das Einsein mit der Welt, das Versöhntsein mit dem Leben.
Ich ging an sonnenbeschienenen Stellen voller Moos und Heidekraut vorüber, entdeckte einen Tierbau und Wühlspuren von Wildschweinen. Ich beobachtete prächtige Kreuzspinnen in ihren aufgespannten Netzen, sah einen neben mir aufspringenden, flüchtenden Rehbock und die Reste einer gerissenen Taube (die letztlich doch nicht so gerissen war).
Vor dem Skatehotel von Petkus gönnte ich mir eine Freiluftmahlzeit und musterte beim Bier die übrigen Gäste, die mit Inlinern an den Füßen und Tabletts in den Händen draußen zu ihren Tischen staksten.
Das Leben kann schön sein, dachte ich. Wenn man entschleunigt und tatsächlich weiß, dass weniger mehr ist: Einfach nur dazusitzen beispielsweise. Oder den leeren Pilzkorb als Sinnbild zu betrachten.
Dabei fielen mir wieder die tausenden Nachrichten-Flüchtlinge ein, für die solche Verzichtsgedanken der reinste Luxus sein müssen. Und mir kam ein Lied von Hans-Eckardt Wenzel in den Sinn, das ich seit den 80ern höre und worin es heißt: „Alles, was ich hab, verteil ich, so erfinde ich mein Glück. Meine Narrenfreiheit freilich ist ein lächerliches Stück.“ Ich sang die Stelle oft genug mit, genau wie „Freedom´s just another word for nothin´ left to lose.“ von Janis Joplin. Für Leute, die sich danach sehnen, manches zwanglos aufzugeben und zurückzulassen, mag so ein Vers befreiend klingen, für die vertriebenen Syrer wohl nur zynisch. Freiheit ist schon ein sehr zweischneidiges Wort.
Nun ist es nicht so, dass ich wie das lyrische Ich im Wenzel-Song handeln würde. Denn auch ein Hans im Glück sollte immer noch etwas in petto haben. Doch zu teilen und denen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können, ist auch für mich selbstverständlich. Helfen mit Spenden, Zeit und Zutun. Am Ende nämlich - und unabhängig von Religion und Politik - steht immer nur ein Mensch vor dem anderen. Und man muss nicht einmal etwas aus der Geschichte gelernt haben, um zu wissen, wie man seinem Herzen folgt.

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