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Donnerstag, 27. Juni 2019

204 | Inishbofin

Während in Berlin die Temperaturen auf fast 40 °C kletterten, hatten wir hier an Irlands Westküste nicht mehr als 19 °C. Dazu viel Sonne und wenig Wind. Bestes Wetter also, um einen Inselausflug zu machen.
Nach einer halben Stunde mit dem Auto waren wir im Hafen von Cleggan, kauften für je 20,- € Hin- und Rückfahrttickets nach Inishbofin und fuhren pünktlich um 11.30 Uhr mit der Fähre ab.
40 Minuten später erreichten wir die gerade mal 15 Quadratkilometer große Insel und verdoppelten mit unserer Fuhre an Tagesgästen die Anzahl seiner Bewohner. Vor fast 200 Jahren war das noch anders. Da lebten hier zehnmal so viele Menschen und es kam kaum jemand herüber. Strom gab es auch erst ab 1982.

Im Hafen mussten Andrea und ich uns entscheiden, ob wir den linken oder den rechten Weg gehen wollen. Prinzipiell war es uns egal. So nahmen wir frei nach Robert Frost den weniger betretenen und liefen westwärts.

Nach einem Stopp an einem roten Streetfood-Doppelstockbus, der sonst wie aus London hergekommen sein mag, verteilten sich schnell die mitgegangenen Tagesgäste. Wer wie wir zum ersten Mal hier war und sich ein Rad ausgeliehen hatte, durfte es hinter einem Schaftor die meiste Zeit schieben. Denn das Weideland der teilweise frei herumlaufenden Tiere war oft holprig und streckenweise ohne sichtbaren Weg.

Dafür stand schon mal eine Bank herum.
Als wir uns setzten, um auf den entspannt blinkenden Atlantik zu schauen, war nur die fernschwache Brandung zu hören. Sonst war da nichts. Nichts als Ruhe und Frieden – und wir mittendrin.

Irgendwo hatte ich gelesen, dass die kleine Insel landschaftlich so vielfältig wie die großen sei. Und das stimmt auch. Hier gibt es Moore, Meer und Berge, golfrasenkurz gefressenes Grün und Thymianmatten. Sand- und Steinstrand, Lerchengesang und Möwengeschrei. Inishbofin als irischer Probierlöffel sozusagen. Sogar Marmorbrocken liegen zwischen Kalk- und Granitsteinen herum. Einen faustgroßen steckte Andrea sich ein. Den wolle sie mitnehmen und zu Hause ins Bad legen, sagte sie. Damit sie ein Marmorbad habe.
An einigen Stellen gab es Kreuze und Gedenktafeln für im Meer verschollene Menschen. Seeleute zumeist wie die Laceys. Aber auch zwei Studenten aus Kansas, die am 3. Februar 1976, bei einem Forschungsspaziergang im abgelaufenen Strandwasser, von der eisigen Flut überrascht worden waren.



Während alle anderen Tagestouristen brav auf den Wanderrouten blieben, kamen wir schon mal vom Weg ab. Und so entdeckten wir nicht nur ein „Blowhole“, eine zum Meer führende, nach oben offene Höhle, die bei ordentlicher Brandung Fontänen erzeugt, wir waren auch wieder mal die einzigen vor Ort. Bis zum Atlantikhorizont konnten wir durchschauen. Der beste Tunnelblick aller Zeiten.


Dass wir erneut über 10 km wanderten, bekamen wir gar nicht mit. Für uns war es ein Inselspaziergang, nicht mehr. Einer, bei dem die Zeit schneller vergeht als auf dem Festland. Aber um die letzte, die 17.00-Uhr-Fähre nicht zu verpassen, mussten wir irgendwann zum Hafen zurück.




In der Stunde vor der Abfahrt schlenderten wir in die hundert Jahre alte Kirche. Die Tür stand offen, und so setzten wir uns zu anderen Besuchern hinten ins Gestühl. Von vorn kam engelsgleicher Gesang aus Altarlautsprechern, daneben zündete immer mal jemand für jemand anderen einen Kerze an. Beim Rausgehen entdeckte ich im Vorraum zwei Gedenktafeln. Die eine für drei ältere Schwestern, die 1999 bei einem Brand ums Leben gekommen waren. Die andere für einen amerikanischen Spender, der deswegen der Kirche 10.000 $ überwiesen hatte.
In der Museumsecke des örtlichen Gift Shops, wo Fotos alter Insulaner und Informationen über ihren Alltag aushingen, las ich in laminierten Zeitungsausschnitten, dass ein in Clifden arbeitender Kellner das Haus jener drei Schwestern aus Frust angezündet hatte, weil er nach 10 Pints aus dem Ortspub geflogen war. 14 Jahre Gefängnis bekam er dafür. 

Zurück in Clifden gingen auch wir in ein Pub, ins E. J. King´s. Das heißt, wir saßen bei immer noch bestem Sonnenschein davor und hörten zwei Musikern zu, die drinnen spielten. Das Leben, dachten wir dabei, kann doch so schön sein.

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