Seiten

Samstag, 31. März 2018

191 | Agios Georgios

Der Karfreitag findet für orthodoxe Griechen erst in der nächsten Woche statt. Gestern war hier also ein ganz normaler Tag und Manolis wunderte sich, warum Susanne uns beim Frühstück zwei rotgefärbte Eier hinlegte. Ostereier, erfuhr ich, wären in Griechenland ausschließlich rot. Die Farbe symbolisiere das Blut des auferstandenen Christus und die Freude darüber.

Gegen Mittag und bei bestem Frühlingswetter machten Andrea und ich eine 6,5-km-Wanderung nach Agios Georgios. Meistens ging es einen unbefestigten Weg hinauf, den ich nicht mit dem Auto fahren möchte und bei Sommerhitze nicht laufen. Wir genossen die weiten Ausblicke aufs Meer und die Berge, hörten Vogelgezwitscher, vorbeibrummende Insekten und das Glockenläuten einer Schafherde. Dazwischen nur göttliche Stille. 
Ab und zu tauchte ein Schmetterling auf, konnte sich für keine der zahllosen Blüten entscheiden und flog aufgeregt weiter. 


An einem Berghang entdeckten wir fünf majestätisch kreisende Greifvögel, die für ein Foto mit dem Smartphone leider zu weit weg waren.
Dann, am Agios-Georgios-Beach, eine Taverne: „Nikos Place“. 

Über eine steile Treppe stiegen wir nach unten und fragten auf der Terrasse einen älteren Mann, der mit seiner Frau und seinem Sohn Chorta sortierte, ob schon geöffnet sei. Das war es und die beiden Männer sprachen sogar deutsch. 
Niko, der Vater, hatte früher in Deutschland gelebt und wirkte recht leutselig. Wir redeten über kretisches Essen und irgendwann forderte er uns auf, in seine Küche mitzukommen. Die war nicht nur sehr aufgeräumt und sauber, sondern auch mit modernster Edelstahltechnik ausgestattet. 

Hier Kühlfächer nur für Fisch, hier für Fleisch und da für Gemüse. Sogar das gute Olivenöl lagerte in einem Stahlfass. Das meiste dieser Ausstattung habe sonst niemand auf Kreta, meinte Niko stolz. Er zeigte uns auch mit Pfropfen verschlossene Ölfläschchen für die Terrassentische. Das müsse wegen einer neuen gesetzlichen Regelung so sein, aber die wenigsten hielten sich daran. Es koche ja auch keiner mehr so traditionell wie er. Lamm bliebe bei ihm beispielsweise immer 4 Stunden im Ofen. Niko, der schon als 11-jähriger zum Fischen rausfuhr, zeigte uns auch eine am Tavernendach angebracht Webcam, mit der sich rund um die Uhr über seine Homepage Livebilder im Internet ansehen ließen. Jetzt war die Kamera auf den zur Taverne gehörenden Strand ausgerichtete, wo sich Andrea vor 4 Jahren mit ihrer besten Freundin gesonnt hatte. Da von der Steilküste immer mal wieder Steine herunterrollen, ist das mittlerweile nicht mehr gestattet, zumindest nicht offiziell.
Am liebsten hätte ich mir von Niko eine der großen Brassen aus dem Kühlfach zubereiten lassen, aber ich hatte gut gefrühstückt und würde abends im „Ilios“ essen. Im Oktober aber, versprach ich Niko, der auch acht Gästezimmer vermietet, käme ich zum Essen mit meinen drei Söhnen wieder.
Nachdem wir unsere Getränke bezahlt hatten, liefen Andrea und ich über die Autozufahrt weiter zum benachbarten Paradia-Beach, wo wir vor anderthalb Jahren schon einmal waren und - wie damals - die einzigen Besucher. 

Trotz kräftiger Wellen stieg ich gleich zum Anbaden ins Wasser, das sich frisch, aber nicht kalt anfühlte.

Am Spätnachmittag kehrten wir die 6,5 km nach Agia Galini zurück und am Abend, unserem letzten, wieder im „Ilios“ ein. Ich bestellte Sepia, den Manolis mit frischem Anis zubereitet hatte, der nach Dill aussehenden Pflanze von unserer Kräutertour. 
Anis mag ich zwar nicht sonderlich, aber der Tintenfisch war köstlich und herrlich butterweich. Andrea und ich durften auch von dem Wildhasen probieren, der einem Einheimischen vors Auto gehoppelt war und den Manolis ihm daraufhin zubereitete. 
Als wir zahlen wollten, sagte Susanne, dass wir eingeladen seien. Ich wollte das zuerst nicht annehmen oder wenigstens den abgezapften Hauswein bezahlen. Doch Susanne lehnte ab und meinte, das sei so mit ihrem Mann abgesprochen und wir wären jeden Tag bei ihnen gewesen. Außerdem hätte ich in meinem Blog reichlich Werbung für das „Ilios“ gemacht. Gerührt umarmten wir unsere lieben Gastgeber zum Abschied und machten uns auf den Weg zur Ferienwohnung.

Freitag, 30. März 2018

190 | Phaistos und der Strand von Komos

Gestern fuhren wir nach Phaistos, um uns alte Steine anzusehen. Die dortige Ausgrabungsstätte über der Messara-Ebene zeigt Reste der nach Knossos zweitgrößten minoischen Palastanlage.
 Viel ist davon nach knapp 4000 Jahren allerdings nicht mehr übrig. Aber es reicht, um gegen Geld Besucher wie uns anzulocken. Wir hielten uns von Reisegruppen fern, schlenderten über alte Höfe und Treppen, überkletterten Mäuerchen und lugten in Vorratskammern und das überdachte Königinnengemach. 



Noch besser als die antiken Fundamente gefiel uns allerdings der Ausblick von dort oben über die grüne Landschaft. 
So viele Olivenbäume unter dem blauen Himmel und so weiß die Schneewolken über dem fernen Psiloritis.
Nachdem wir uns sattgesehen hatten, fuhren Andrea und ich an die Küste. Dabei machten wir einen kurzen Abstecher nach Kamilari, einem auf drei Hügeln errichteten Ort. Hier soll der Seher Epimenides gelebt haben, den die Spartaner gefangen nahmen und - weil er ihnen nur Schlechtes prophezeite - hinrichteten. Aber das ist lange her und nichts Genaues weiß man nicht.
Weil uns Kamilari zu steil und verschlafen erschien, fuhren wir zum Komos-Beach weiter, wo wir vor anderthalb Jahren schon einmal waren. Er liegt bei Matala und soll einer der längsten und schönsten Strandabschnitte Kretas sein. 

Das türkisfarbene klare Wasser wurde jetzt mit reichlich Getöse gegen das flache Ufer gerollt. Wir liefen ein Stück auf dem feuchten Sand, hinterließen Spuren und genossen die milde Sonne. 
Irgendwann setzten wir uns am Fuße der Steilküste auf einen Felsen, plauderten, schauten aufs Meer und beobachtete vorbeikommende Leute. Einige waren so hartgesotten, sich in Badehose und Bikini bei windigen 16 °C in den Sand zu legen. Da war uns das Sitzen in Jacken schon lieber. Das Sitzen und meditative Betrachten der Wellen. Wie sie sich glitzernd auftürmten, brachen und schäumend verebbten, während sich draußen vor Agia Galini ein Containerschiff um die eigene Achse drehte. Und am Horizont die Paximadia-Inseln miteinander verschmolzen. 
Wie die Rückenansicht eines Nilpferds sahen die beiden Inseln aus. Von Agios Pavlos aus betrachtet erinnern sie ja an einen kleinen durchs Meer schwimmenden Elefanten. „Elefantaki“, sagen einige Kreter deshalb zu ihnen.
Auf dem Rückweg zum Auto entdeckte ich an der Steilküste zwischen eingeritzten Namen ein kleines Sandsteinrelief, einen unvollendeten weiblichen Rückenakt. 
Wer das kleine Kunstwerk hier wohl hinterlassen hat - und wann?
In Agia Galini wurde tagsüber mit schwerem Gerät der Strand für die Urlauber aufgehübscht. Als die Sonne unterging und wir uns zum „Ilios“ aufmachten, herrschte Feierabendstille. Selbst vom Wind war nichts mehr zu spüren. Noch einmal wurde der Hafen kräftig ausgeleuchtet, dann begann auch schon der Abend. 

Manolis hatte leckeres Lamm zubereitet, was Moki, das hinkende Hauslämmchen zum Glück nicht wusste. Es blökte und machte Böckchensprünge auf der Terrasse, derweil sich Sophi und der Hund eines Gastes über die Knochen von unseren Tellern hermachten.
Aus den Lautsprechern kam melancholische Musik, die uns fühlen ließ, dass sich unser Urlaub langsam dem Ende zuneigt. Einen der kretischen Songs glaubte Andrea wiederzuerkennen, aber auf Türkisch gesungen.
„Susanne“, fragte sie, „worum geht es in diesem Lied?“
Susanne blieb stehen und lauschte, konnte der schnarrenden Lautsprecher wegen jedoch nur wenig verstehen.
„Geht es um die Mama und Heimat?“, hakte Andrea nach.
Susanne schmunzelte und winkte ab. „In kretischen Liedern geht es immer um die Mama und Heimat.“
Mit gespielter Feierlichkeit hob ich mein Raki-Glas: „Auf die Mamas und die Heimat! Auf Kreta und das Leben! “
„Und die Liebe“, sagte Andrea.
„Und die Liebe“, sagte ich. „Jamas!“

Donnerstag, 29. März 2018

189 | Rund um Plakias

Während es gestern in Berlin noch einmal schneite, fuhren wir bei bewölkt frühlingshaftem Wetter nach Plakias. Das ist ein kleiner Küstenort westlich von Agia Galini. Der Weg führte durch die Kotsifou-Schlucht, aus der kretischen Partisanen 1941 etliche deutsche Fallschirmjäger abgeschossen haben sollen. 

Als wir an einem Aussichtspunkt nach unten schauten, wo zu dieser Jahreszeit noch ein Bach fließt, hatte Andrea wieder viel Freude an meiner Höhenangst.
Ein paar Kilometer vor Plakias saß plötzlich eine Krabbe auf der Straße. Schnell parkte ich an der Seite und lief zurück, um das kaltäugige, rückwärts flüchtende Tier zu fotografieren. 
Dabei hatte ich keine Ahnung, was es fernab des Meeres hier wollte. Urlaub machen vielleicht. Später erfuhr ich von Susanne und Manolis, dass einige Krabbenarten eben auch an Land leben. Man lernt nie aus.
In Plakias gab es die üblichen weiß gestrichenen Hotels, Bars und Tavernen entlang einer langen Promenade. Viel war nicht los im Ort, aber so hatten wir uns unseren Urlaub ja auch vorgestellt. Wir machten einen Spaziergang zwischen Wind und Flaute, zwischen Schiffsanleger und dem einen Kilometer weiter westlich gelegenen geschützten Hafen. 








Als es zu nieseln begann, setzten wir uns in eines der Cafés, dann fuhren wir hoch in die Berge nach Sellia. Den Tipp hatte uns Susanne gegeben. Wenn sie mit Manolis essen geht, dann gerne dort mit Blick auf die Bucht von Plakias.
Das Dorf begrüßte uns mit einem zerschossenen Ortsschild, was keine Warnung für Fremde ist, sondern Ausdruck des kretischen Freiheitswillens, gerade im Süden der Insel. So schießt Manolis zu Ostern mit seinem Karabiner in die Luft und ein Nachbar mit dem Maschinengewehr. Ein zerschossenes Straßenschild heißt also nur, dass ein Kreter macht, was er will.

Wir parkten und machten uns auf die Suche nach den drei Kreativen, die hier leben sollen: eine Malerin, einen Schmuckdesigner und einen Keramiker, der auch Skulpturen aus Holz, Knochen und Hörnern anfertigt. Seinen Laden fanden wir und er hatte sogar noch offen. Nur Fotos durften drinnen nicht gemacht werden, was ich grundsätzlich respektiere.
Nachdem wir uns zwischen den vielen kleinen gefälligen Kunstwerken umgesehen hatten, liefen wir durch einige Gässchen zur Friedhofskirche, schauten uns die Fotos einiger Verstorbener an und kehrten wieder um. 



Als wir uns in der Nähe des geparkten Autos auf einer Bank ausruhten und den Blick auf die ferne Bucht genossen, ließ sich sogar die Sonne ein wenig blicken.
Auf unserer Rücktour machten wir Halt in Spili, wo Tischdecken und Naturprodukte vor den Geschäften ausgestellt waren: Salatbesteck aus Olivenholz, Olivenseife, Kräuter und Thymianhonig. Schnell wussten wir warum: Mindestens zwei Busse hatten die ersten Touristen gebracht, während andere wie wir mit dem Mietauto gekommen waren. Unter ihnen viele Deutsche, die zu laut sprachen, zu funktional oder bunt angezogen waren oder sich mit hinter dem Rücken verschränkten Hände recht langsam bewegten. Sie schienen dieses Disneyland-Spili, das so authentisch wirkte wie die Restaurant-Einrichtung beim Stammgriechen zu Hause, durchaus zu mögen. Jede Menge nicht zerschossener Schilder zeigten an, wo lang es zum Folklore- und Kirchen-Museum geht. Und da, unterhalb einer auf rustikal getrimmten Taverne, war der berühmte venezianische Brunnen aus dem 16. Jahrhundert mit seinen wasserspeienden Löwenköpfen. Ich weigerte mich, von all dem Fotos zu machen. Nur das Motiv der verdrehten Laterne, die sonst nicht unter einen Balkon gepasst hätte, fand ich witzig.
Gegen 19 Uhr trudelten wir wieder im „Ilios“ ein. Auch hier lassen sich von Tag zu Tag mehr Touristen blicken. Aber „gute Touristen“, wie Susanne sagt. Andrea und ich bekamen wieder unseren Stammplatz und bestellten Hühnchen mit Okra-Schoten, die Manolis mit Tomaten und Zwiebeln in Öl angedünstet hatte. 
Sophi, die Mopsdame, und Moki, das hinkende Lämmchen waren ebenfalls da und ließen sich streicheln. In ein oder zwei Tagen kommt Moki jedoch auf die Weide, da es allmählich beginnt, an den Kübelpflanzen zu knabbern. Susanne und Manolis ist es nur recht, denn nicht selten fängt Moki auch nachts an zu blöken.