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Dienstag, 21. Juni 2016

160 | Vom Abenteuer, einen Roman zu veröffentlichen - das Schreiben


An einem Roman zu schreiben, ist keine Kunst. Ihn gut werden zu lassen und zu beenden, schon. Dazu gehört eine Grundidee, von der man zutiefst überzeugt ist, die Beherrschung des Schreibhandwerks und sehr viel Ausdauer. Vor allem bei der Überarbeitung.
Meinen ersten Roman begann ich mit Ende zwanzig, kam aber nicht über 50 Seiten hinaus. Erst fehlte die Zeit, dann die Motivation.
Meinen zweiten ersten Roman begann ich vor etwa 9 Jahren als Drehbuch. Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Dabei hatte ich weder Ahnung vom szenischen Aufbau noch eine Idee, worum es in dem Skript überhaupt gehen sollte. So blinkte der Cursor meines Laptops im Sekundentakt auf dem leeren Textdokument, während ich mein Gehirn nach Brauchbarem durchforschte. Dabei fiel mir ein Erlebnis aus meiner späten Kindheit ein: Ich war dreizehn und mit meinem Vater und dessen Arbeitskollegen am Kölpinsee zum Fischen. Mit Hilfe eines Ruderbootes hatten wir über Nacht eine Aalschnur gelegt, eine etwa 60 Meter lange Angelsehne, von der mehrere beköderte Hakenschnüre abzweigten. Das eine Schnurende wurde am Ufer befestigt, das andere an einer geleerten und wieder mit Seewasser aufgefüllten Bierflasche, die wir draußen versenkten. Das Ganze war zwar schon damals verboten, aber wen kümmerte es, wenn die Chance, endlich mit Aal heimzukehren, steigt. Zu kaufen gab es im Osten ja keinen.
Doch als wollte uns Petrus, der alte Angler- und Wetterpatron, für den Frevel bestrafen, schickte er grummelnde Gewitterwolken über den See, als wir morgens zu dritt rausfuhren, um die Schnur einzuholen.
An den ersten Haken hingen ein, zwei Barsche, ein untermaßiger Aal und die nicht angerührten Tauwürmer. Dann ließ Petrus die Hauptsehne reißen.
Ein paar Mal zog mein Vater den Blinker seiner Spinnangel über den Boden, um an die zweite Hälfte der Aalschnur zu gelangen. Aber es war zu krautig und somit aussichtslos. Außerdem zuckte bereits der erste Blitz im Wolkengedöns auf.
„Rudern wir zurück“, meinte der Arbeitskollege.
Zurück? Ohne den ganz großen Fang? Das konnte ich nicht zulassen! „Ich gehe rein und tauche“, sagte ich.
Während die Männer noch überlegten, ob das eine gute Idee war, zog ich mich aus und ließ mich vorsichtig ins Wasser gleiten. Ich schwamm über die Unglücksstelle und tauchte vier-, fünf-, sechsmal zum Grund ab, ohne mir großartig Zeit zum Luftholen zu nehmen. Denn was, wenn ich zurück ins Boot muss, bevor ich die Schnur zu fassen kriege? Oder, schlimmer noch: wenn der nächste Blitz in den See einschlägt?!
Zum Glück schlug er nicht ein, Petrus war mir gnädig. Und tatsächlich ertastete ich da unten die präparierte Sehne, an der noch zwei Prachtburschen hingen. Ich war der Held und durfte einen der Aale behalten.
Daran erinnerte ich mich also vor neun Jahren. Und so wurde diese Geschichte zur ersten meiner beiden „magischen Grundzutaten“. Die zweite war ein Artikel über das „Voynich-Manuskript“, den ich zuvor in einer Zeitschrift gelesen hatte. Darin ging es um ein rätselhaftes Buch aus dem  15. Jahrhundert, dessen Schrift bis heute nicht entschlüsselt werden konnte.
Als beide „Zutaten“ zusammenkamen, schlug doch noch der Blitz ein, nur ohne Getöse. Es war Teilchenentladung und Befruchtung in einem. Und es entstand etwas völlig Neues. Etwas, das so voller Eigendynamik steckte, dass es als Idee schon immer da gewesen sein musste. So kam es mir zumindest rückblickend vor. Da waren historische und fiktive Personen, die ich zum Leben erweckte, und Orte, die von einem zum anderen führten. Es gab Zeitsprünge und trotz allem eine innere, sich aufbauende und abrundende Logik. Allein der Gedanke, wie ich meine Story enden lasse, bereitete mir Sorgen.
Dann waren Jahr und Drehbuch zu drei Vierteln fertig. Anfang Oktober packte ich meinen Laptop und Lebensmittel für eine Woche ins Auto und fuhr aufs Land. In Nehringen, einem Grenz-Dörfchen zwischen Mecklenburg und Vorpommern, hatte ich mich in eine sanierte Bauernkate eingemietet, wo ich von morgens bis mittags schrieb. Nachmittags machte ich Spaziergänge an der Trebel und abends las ich Fontanes „Stechlin“. Es war einfach herrlich. Vor allem, als mich auf einem meiner Ausflüge das Ende der Geschichte anwehte.

Das fertige Drehbuch schickte ich an „X Filme“ und zwei weitere Filmproduktionsfirmen. Man würde in Deutschland, England und Tschechien drehen müssen, so viel war klar. Und dass mein Film, der „Viriditas“ heißen sollte, das Potential hatte, um mit Holywood-Blockbustern zu konkurrieren.
Nach drei Standartabsagen meinte ein Bekannter, dass man als „No Name“ ohnehin keine Chance habe. Die vom Film würden aus finanziellen Gründen unnötige Risiken scheuen und nur Skripts von Profis umsetzen. Es läge also nicht an meiner Arbeit.
Einer aus der Branche sah das genauso und empfahl mir, einen Roman aus dem Stoff zu machen. Daraus könne im besten Falle wieder die Vorlage für einen Film werden.
Einen Roman also. Das hieß: sämtliche Dialoge mit Gedanken, Gefühlen und Beschreibungen anzureichern, kurz: Butter bei die Fische zu geben. Dazu, stellte ich schnell fest, reichte es nicht mehr, mir beispielsweise die Nikolai-Kirche von Grevesmühlen im Internet anzusehen. Dafür musste ich hinfahren und sie betreten.
Meine erste Recherche-Reise war die zweite großartige Erfahrung, die mir das Schreiben ermöglichte. Ich folgte meinem Protagonisten durch die Bebel-Straße, aß wie er auf dem Marktplatz ein Fischbrötchen, saß mit ihm im „Teufelsbackofen“ und badete im Tressower See, wo ich auf dem Papier jenen Blitz einschlagen ließ, vor dem ich mich am Kölpinsee gefürchtet hatte. Ich befand mich wie in einer realen Filmkulisse, die ich, der Schöpfer meiner Buchwelt, erfunden, aber ein weitaus größerer Schöpfer aufgebaut hatte.
An meinem Romanprojekt arbeitete ich mehrere Jahre, da ich einem anderen Projekt Vorrang geben musste. Die Überarbeitung dauerte ein weiteres Jahr. Ich kürzte, feilte, machte neu und druckte schlussendlich 444 Normseiten aus. Es war das pure Glück!
Meine Zweitleser waren zufrieden, nur der Schluss gefiel ihnen nicht. Der war offen und verlangte nach einer Fortsetzung, meinten sie. Die komme, versprach ich. Wenn das Vorhandene seine Leser findet.

(Fortsetzung folgt)

Zum 1. Teil von "Viriditas"






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