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Freitag, 18. März 2016

159 | Im Märzen der Bauer


Als Grundschüler musste ich neben Pionierliedern Volkslieder lernen. Was bis zur 4. Klasse in Ordnung ging. Dann empfand ich das zu pflegende Kulturgut der Deutschen nur noch als gestrig und nervig. Es waren Lieder von Rentnern, Chorknaben und alternden Musiklehrerinnen, also nicht meine.
Oft verstand ich nicht einmal die Texte: „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt; er setzt seine Felder und Wiesen instand.“ - Wo lag denn, bitte schön, Märzen? Oder war „Herzen“ gemeint? Und wieso ließ Land sich instandsetzen?
In einem anderen Frühlingslied sollte ein ominöser „Lenz“ beginnen. Vorher jedoch „Schnee von den Bergen“ rinnen. Schnee fiel, rieselte oder schwebte, so viel wusste ich, aber rinnen? Der Texter musste sich vertan haben. Oder hier: „Im Frühtau zu Berge wir ziehn“ Musste es nicht heißen: Durch Frühtau ziehn wir auf den Berg? Warum drückten sich Dichter und Liedermacher so unverständlich aus? Bei „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus“ verhielt es sich nicht anders. Ich kannte auch niemanden, der „fallera“ sagte, wenn er sich freute. Oder „hollahi, hollaho“.
Genauso schlimm die Mitmachlieder: „Jetzt fahrn wir übern See“, bei dem immer einer patzte. Immer! Oder „Laurentia“ in der Endlosschleife. Nur um sich die Kniegelenke bereits mit sieben zu ruinieren. Wer wollte da noch mit Laurentia zu-, äh, beisammen sein? Überhaupt der Name! In meiner Klasse gab es bloß Katrins und Manuelas.
Erst später, als Student, entdeckte ich den wahren Wert von Volksliedern. Dass es in „Auf einem Baum ein Kuckuck“ um die allgemeine Unvergänglichkeit von Freiheit und Freiheitskämpfer geht beispielsweise. Oder in „Am Brunnen vor dem Tore“ um das individuelle Gegenteil - den Verlust von Liebe, Glück und Heimat. Und dennoch: Mit deutschen Volksliedern à la „Hoch auf dem gelben Wagen“ verhält es sich wie mit Bernstein: Sie funkeln trotz ihres Alters und haben ihren berechtigten Wert; aber niemand mag sie tragen. Außer Rentnern, alternden Musiklehrerinnen und Chorknaben, die sich für Hipster halten. Fidiralala.