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Montag, 20. Juli 2015

148 | Dinge III


Garderobenmarke 1/187

Etwa dort, wo das Berliner Stadtschloss als Humboldtforum wiederaufgebaut wird, stand bis 2008 der Palast der Republik. Bekannt auch als Erichs Lampenladen. Dass er abgerissen wurde, war mir damals relativ egal. Uns verbanden schließlich nicht viele Erinnerungen, oder?
Als Kind besuchte ich einmal eine Veranstaltung im Großen Saal. Und im Hauptfoyer sah ich von der Galerie aus einer Band zu. Beides hatte wohl mit schulischen Pflichtveranstaltungen zu tun, sonst wäre bei mir sicher mehr hängen geblieben. Wie mein Staunen, als ich Anfang ´89 das einzige Mal im Jugendtreff, der Palastdisco, war, wo es eine rotierende Tanzfläche gab und wo zu den Popsongs Musikvideos gezeigt wurden. Letzteres kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen, von Formel Eins und Ronnys Pop-Show. Aber nun konnte ich mir den Lullaby-Clip von The Cure sogar beim Tanzen anschauen.
So viel Fortschritt war für Ost-Berlin natürlich nicht selbstverständlich. Und nachdem ich im Sommer desselben Jahres mit Freunden in Budapest war, wusste ich, was in einer sozialistischen Hauptstadt auch möglich ist: Straßenkünstler, Straßenmusiker, West-Schallplatten und McDonald´s. Dagegen wurden auf dem Alexanderplatz nach Ladenschluss bloß die Bürgersteige hochgeklappt.
Um so mehr erinnere ich mich an jenen Spätsommerabend ´89, als ein Freund vorschlug, zum Palast zu gehen, lecker zu essen und Exportbier zu trinken. Ich war skeptisch. Denn entweder würde es teuer oder wir müssten anstehen. Doch wir hatten Glück, bekamen gleich zwei Plätze zugewiesen und bestellten „Braumeister-Steak“ (Cordon bleu) mit Erbsen und Pommes, dazu Radeberger vom Fass. Das Ganze, da staatlich subventioniert, keine zehn Mark pro Person.
Als wir beim zweiten oder dritten Bier waren, begann eine Combo mit Glitzeranzügen ihr Schlagerprogramm, was auf uns siebzehnjährige Punk-Spezialisten derart komisch wirkte, dass wir uns vor Lachen kaum einkriegten. Vor allem nicht, als wir sahen, wie die zumeist älteren Gäste lostanzten.
Einen Monat später zog ich im Wendeherbst mit Freunden und Tausenden Berlinern am Palast und der sich darin befindlichen Volkskammer vorbei. Mit brennenden Kerzen bewaffnet ging es zum Staatsratsgebäude hinüber. Und dann, als die Zeichen auf Wiedervereinigung standen, war ich ein letztes Mal im Palast. Zu einem Konzert, glaube ich. Beim Rausgehen klaute ich eine der unzähligen roten Alu-Garderobenmarken, die dort hingen. Aus Übermut und wohl zur Erinnerung. 1/187 stand zufällig darauf, sauber aus dem Rot herausgefräst. Noch heute ziert dieser Bruch, diese Ordnungs-Chiffre meine Marke, die ihren Sinn längst verloren hat. Doch - und das ist das Seltsame - sie fasst sich nicht anders an als vor fünfundzwanzig Jahren, während der dazugehörige Garderobenbereich samt Renommier-Gebäude verschwunden ist.

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