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Mittwoch, 15. Juli 2015

146 | Kindheit



Heute zog ich mal wieder zum Haus meiner Kindheit, wo ich behütet aufwuchs und ausgiebig träumte. Mit dem Smartphone bewaffnet stand ich als Dornröschenprinz 2.0 vor verschlossenem Tor und mit Ranken überwucherter Fassade. Ein Blick auf das Klingelschild: lauter fremde Namen. Ein Blick durch die Türglasscheibe: der vertraute Anblick eines irgendwie geschrumpften Flures. Aber kein Dornröschen darin, und auch sonst wenig Märchenhaftes. Denn das ist Berlin und alles bleibt anders, genau wie man selbst.
Dass die jüdische Familie Fingerhut, die vor meinen ausgebombten Großeltern im ersten Stock zur Miete wohnte, noch immer keinen Stolperstein erhalten hat, fand ich bedauerlich. Sieben Jahre ehe meine Mutter in ihrer Wohnung geboren wurde, hat man sie deportiert. Vater, Mutter und zwei Kinder. Ermordet und ausradiert. Was waren das für Leute? Wie sahen sie aus und wann hörte man auf, sich an sie zu erinnern?
Was wurde aus den anderen Geschichten dieser Straße? Verweht und weggeschwemmt wie die Menschen. Für neue Zeiten, neue Menschen und neue Geschichten. Meine werde ich bewahren.

1 Kommentar:

Jordan T. A. Wegberg hat gesagt…

Ach, da wird einem ganz wehmütig ums Herz! Eine schöne Idee, zum Haus der Kindheit zu pilgern - wohl dem, der das (rein geografisch) ab und zu mal tun kann.