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Sonntag, 9. November 2008

097 | Rain Dogs in the Downtown Train

für Finni

„Im traurigen Monat November war´s (...)“
Mit der U 8 fahren wir durch den kühlen Rest eines verregneten Tages. Sitzend, wie die anderen Fahrgäste, Weddinger Migranten zumeist. Junge Männer mit Fremdenlegionärshaarschnitt, Frauen mit schokobraunem Haar oder zartbitterem Kopftuch. Jeder von ihnen hockt in seiner kleinen Welt. Isoliert und gelähmt von der Arbeit, von alltäglichen Teufelskreisen, die sich wie eiserne Bande um ihre Herzen legen.
„the downtown trains are full with all the brooklyn girls / they are try so hard to break out of their little worlds“
Aber wir, wir haben uns gefunden, zwischen all diesen Paralleluniversen. Frag mich nicht, wie. Wir hatten wohl Glück, obwohl wir dabei zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Aber wir erkannten uns und das, was mit uns geschieht. Es gibt sie vielleicht ja doch, die richtige Zeit in der falschen, das Märchen im Lokalteil der Zeitung. Jetzt lauschen wir der Stimme unseres Erzählers und schweigen irgendwie anders als der prosaische Rest.
Pankstraße. Die U-Bahn hält. Aber keiner geht, keiner kommt. Nur aus einigen Ohrhörern zischt und stampft leise Musik, Sountracks wie nahende Gegenzüge. Jemand nickt dazu im Takt; eine Frau hält ihre Augen geschlossen. Als stünde sie zwischen den Geleisen. Einer der Fremdenlegionäre sieht zu ihr rüber. Sieht ihr Make-up, die gezupften Brauen, ihren schlanken Körper. Den nahenden Zug sieht er nicht. Er kaut mechanisch auf seinem Kaugummi herum, wie ein angeketteter Hund auf seinem Knochen. Die anderen Fremdenlegionäre sind ebenfalls mit Kaugummis bewaffnet. Brothers in Arms ohne Auftrag und ohne Heimat. Rain Dogs, denke ich.
Da zischt und stampft es auch in mir, durchfährt mich Tom Waits heisere Stimme „with all the Rain Dogs“. „For I am a Rain Dog, too“, hallen alte Zeiten nach. Aber du bist bei mir, denke ich. Ich habe also wirklich Glück. Mir ist in dem Moment, als erklärten sich so alle einsamen Fahrten vergangener Jahre. Einsam gegangene Wege und Straßen, durchwachte Nächte. Als das Herz krampfte und sich meine kleine Welt fenster- und türenlos gab. Vielleicht muss man sich ja oft krank und elend fühlen, um irgendwann unerwartet sein Glück zu erkennen, tief zu fühlen und zu gesunden.
Oh, wie schön du bist, denke ich. Ich ...
„Nächster Halt: Gesundbrunnen.“

Komm, lass uns rausgehen in den Abend, der sich längst als Nacht verkleidet hat. Wie ein Kind zu Halloween, das uns nicht erschrecken kann. Auf dem Bahnsteig hören wir, wie es hinter uns kracht. Als wäre etwas zerbrochen.
„Heinrich, der Wagen bricht“, flüsterst du verschwörerisch lächelnd. „Nein“, lächle ich zurück und küsse dein magnetisches Gesicht, ohne mich noch einmal umzudrehen. Hand in Hand fliegen wir die glitzernden Treppen hinauf. Wie zum Hochzeitsball des Prinzen.
„Oh, how we danced and we swallowed the night“
In den Pfützen erzittern die Lichter des Gesundbrunnen-Centers von unserem Gekichere.
„Oh, how we danced away all of the lights“
Wir erfreuen uns kindisch an der kitschigen Weihnachtsdeko der Geschäfte. Und in unseren Augen spiegelt sich dabei das Glück der Besitzlosen wider. Wir sind Ausbrecher und Selbstläufer. Gefühle jonglieren Gedanken, die einmal so schwer waren, dass sie uns an solchen Abenden runtergezogen hätten wie der übersättigte Nebel die Schwärze des Himmels.
„We´ve always been out of our minds“
Bei Kaiser´s kaufen wir übermütig eine Flasche goldbraunen Tequila.
„Golden brown texture like sun (...)“
Die Kassiererin grinst uns an, als hätte sie unseren Plan durchschaut oder könne uns in die geöffneten Sonnen-Anbeter-Herzen blicken.
Oh, wie schön du bist, denke ich.

Your „long hair black as a raven.
Oh, how we danced and you
Whispered to me
You´ll never be going back home,
You´ll never be going back home.“

Denn später werden wir die Einzigen sein, die sich an diesen Abend erinnern können, an diesen vernieselten Abend, irgendwo im Wedding, irgendwann im November.

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