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Samstag, 20. Oktober 2007

091 | Nehringen


Für eine Woche nahm ich mir eine Auszeit.
Da ich meine Idyllen im Norden weiß, mich aber nicht zwischen Mecklenburg oder Vorpommern entscheiden konnte, bezog ich genau an Nordvorpommerns Grenze Quartier, im Winzig-Ort Nehringen an der Trebel.
Nehringen, so entnimmt man es den Beschreibungen, besitzt „das letzte erhaltene Ensemble schwedischen Barocks in Vorpommern“. Aha. Das wird den meisten so viel sagen wie der 2. Hauptsatz der Thermodynamik und wenig Lust machen, dort hinzureisen. Was schade wäre. Denn Nehringen besitzt vor allem Flair.
Es ist ein kleines, malerisches Gutsdorf mit Kirche, Gutshaus und –park, einer Handvoll Katen, Häuschen und Gehöften. Alles wirkt hier zeitlos, entstammt aber augenscheinlich dem 18. und 19. Jahrhundert. Das ist vorstellbarer.

Weil die Schweden nach dem 30-jährigen Krieg in Vorpommern nun einmal Fuß gefasst hatten, wurde ihnen das Land letztlich auch zugesprochen. Anfang des 18. Jahrhunderts war ein gewisser Graf von Meyerfeldt Generalgouverneur für Rügen und Vorpommern. Der fand Nehringen wie ich bezaubernd und ließ sich 1720 ein Gutshaus und zwei angrenzende „Kavaliershäuser“ bauen, um Besuch unterzubringen. Vielleicht fand er Nehringen allerdings nicht nur bezaubernd, sondern vor allem „strategisch bedeutsam“. Schließlich hatten die letzten 20 Jahre vor seiner Ankunft die Dänen Pommern besetzt. Ein ständiges Hin und Her!
Nicht umsonst stand hier auch einmal eine Grenzfeste, von der bloß noch die breite Ruine des so genannten „Fangelturmes“ im Gutspark übrig ist. Dort steht er seit dem frühen 14. Jahrhundert auf einem Hügel. Und wäre er nicht so baumumwachsen, könnte ich ihn von meinem Stubenfenster aus sehen, so wie die Kirche und das alte Pfarrhaus.
Dicht heran darf man an den Fangelturm derzeit nicht. Er ist abgesperrt, weil er sich offenbar für seinen Zustand schämt und Zudringlinge mit zerbrochenen Backsteinen bewirft.

Graf von Meyerfeldt jedenfalls ließ 1721 und in den folgenden sechs Jahren die Andreas-Kapelle von 1350 zur barocken Schlosskirche umgestalten. Dann war es vorerst gut, das Barock-Ensemble perfekt. Das heißt, 1744 musste der 1598 gebaute Kirchturm neu errichtet werden. Irgendwie hört so etwas schließlich nie auf.
1730, als die Arbeiten an der Kirche abgeschlossen waren, wurde übrigens noch ein Pfarrwitwensitz gebaut, eine einfache Kate, die ebenfalls erhalten ist.

In Nehringen, dem zeitweiligen Garnisonsort, ging es wie in ganz Mecklenburg-Vorpommern nicht immer so friedlich zu, wie es den Anschein hat. Die Herzogsfamilien des Nordens machten sich früher das Leben schwer, weil oft viele Familienmitglieder gleichzeitig regieren wollten. Da zerstückelte man dann schon mal seinen Erbbesitz, was die Machtposition natürlich schwächte.
Kein Wunder, dass im 30-jährigen Krieg Wallenstein Regent in Mecklenburg wurde und auch Pommern nach aller Kriegskunst verwüstete.
In dieser Zeit muss die Wehrmauer des Nehringer Kirchhofs mit seinen Schlüsselschießscharten entstanden sein. Ob dort allerdings jemals Flintenläufe rausguckten, weiß ich nicht zu sagen.

Dass sich in Nehringen alle zusammengehörigen Barockbauten erhalten haben, ist gar nicht selbstverständlich. Denn die mussten vor allem 40 DDR-Jahre über standhaft bleiben. Und hätte sich der hier ansässige Küster, Herr Bergemann, von dem wohl bereits die Großeltern auf dem Kirchhof liegen, damals nicht so stark für den Erhalt der St.-Andreas-Kirche gemacht, wäre diese wohl mitsamt Mehmel-Orgel, Kanzel, Decken- und Tafelgemälden, Beichtstuhl und Patronatsloge abgerissen worden.
Heute steht die Kirche unter Denkmalschutz und der Herr Bergemann hat für seine gute Tat das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Ein zweites Kreuz sollte man im übrigen für denjenigen bereitlegen, der sich für die dringend erforderliche Sanierung des Gutshauses und Fangelturmes stark macht.

Als ich mir ohne Furcht vor fallenden Steinen die Kirche und den Kirchhof in Ruhe besah, tuschelten die gelben Blätter der verschnittenen Linden über mir bewegt wie alte Leute. Was der Fremde hier wohl tue? Ich antwortete nicht, sondern lauschte in den goldenen Oktober hinein: drei Vögel hielten einen Schwatz, eine Biene brummte wie ein winziger Traktor vorbei, irgendwo kletterte ein Eichhörnchen einen Baum hoch.
Auf dem Boden zwangen Moos und braunes Laub alte Grabplatten zur Ruhe.
Ein mit Zäunchen umfriedetes Grabmal sah ich mir genauer an. Dort liegt ein Carl Freiherr von Pachelbel-Gehag-Ascheraden. Was für ein Name! Ob er mit dem süddeutschen Musiker – einem Bürgerlichen - verwandt war? Wohl kaum. Oder mit dem Rügener Baron von Ascheraden? Schon eher.
Denn geboren wurde er 1859 in Zimkendorf. Das liegt bei Stralsund. Mit 82 Jahren starb er im benachbarten Keffenbrink, drei Jahre vor Kriegsende. Sein Titel ist auf der Grabplatte ablesbar, nicht aber, was er für ein Mensch war. Vielleicht ein pommerscher Stechlin, mit dem das Gute der alten Zeit wegstarb.

Ein Platz, den der Freiherr vielleicht wie ich besonders in sein Herz geschlossen hatte, ist die 1911 erbaute und von 1983 bis 1990 rekonstruierte Klapp- und Zugbrücke über der Trebel. Auf ihr stand ich oft bei bestem Herbstlicht und blinzelte übers Wasser und bewachsene Moor. Hier war der „Pass von Nehringen“, der sonst schwer zugänglichen Landesgrenze.
Von dieser Holzbrücke aus wanderte ich ins Mecklenburgische, nach Wasdow oder einmal nach Groß Methling:

Die Landschaft hatte die Ruhe weg und der Himmel war so weit, dass mein Geist wieder zu fliegen lernte.
Über dem Weg, der wie die Abzugsgräben die Trebelniederung durchschneidet, lagen in Kopfhöhe Spinnfäden. Auf dem Boden krochen Raupen und Käfer, waren Spinnen und Schnecken unterwegs, in der Luft Eintagsfliegen und Schmetterlinge, die wie ich das Wetter für einen Ausflug nutzten.
Ganz in meiner Nähe landete lautlos ein Schwarzer Milan.
Dafür knisterte und flatterte im Gesträuch von den kleineren Vögeln und Phantommäusen. Nur einmal sah ich so eine Maus. Sie lag frisch erlegt vor mir auf dem Weg. Der Milan wird sie zuvor fallen gelassen haben, um mir zu bedeuten, wer der Herr im Revier sei.

Die gesamte Natur war beseelt und hielt ihre Andacht. Mir war, als beobachte sie mich mit stockendem Atem, ob ich ihrer auch wirklich gewahr würde.
„Ja!“, schrie der Milan. Ja, dachte ich, ja!
Ein mir entgegenkommendes Auto schunkelte trunken von Schlagloch zu Schlagloch und wirkte dabei recht albern. Nur der Fahrer musterte mich bierernst.
Überhaupt schienen alle Autofahrer sich zu fragen, was einer wie ich hier tue, so allein im Niemandsland.
Ich wusste es.

Im angrenzenden Auenwald bemerkte ich neben dem inzwischen befestigten Weg eine Ansammlung von Feldsteinen, die sich von anderen auf Feldern zusammengetragenen Haufen darin unterschied, dass es in der Mitte eine Mulde gab. Vielleicht stand ich vor einem in Vorzeiten geplünderten Hühnengrab. Davon gibt es ja sehr viele in Norddeutschland.
Darüber grünte noch der Ahorn im Schatten der Buchen.

Beim Weitergehen hörte ich auf den Herzschlag meiner Schritte, dachte an die fahrenden Romantiker und fühlte mich, so aus der Zeit geworfen, recht wohl. Das Haus, in dem ich untergekommen war, ist übrigens eine alte Bauernkate von 1805, dem Jahr als Schiller starb. Auch daran musste ich unterwegs denken.
Bei ein paar weidenden Kühen, die nicht mal muh machten, blieb ich stehen und lauschte wieder in den Nachmittag. Es war nichts zu hören als die heiseren Rufe einer weiteren Wildgansformation am Himmel, nichts zu sehen außer Himmel und Erde und ein paar Rauchzeichen dazwischen.

Am Ende meiner Woche sah ich vor der Rückfahrt ein letztes Mal aus dem Stubenfenster zum alten Pfarrhaus über die Straße.
Hier muss der Freiherr von Pachelbel vorbeigegangen sein, um sich die neue Trebelbrücke zu besehen, dachte ich. Die Fenster des Pfarrhauses werden da schon schräg in ihren abgesenkten Fächern gesteckt haben. Aber es gab noch kein Moos auf dem Dach.
Von nebenan, aus einem Fenster des Pfarrwitwensitzes heraus, wird den Freiherrn eine alte Dame beobachten haben.
„Der Herr Carl ...“, hat sie vielleicht gedacht.
Und dann wurde es Herbst. Endgültig. So wie jetzt.

Donnerstag, 11. Oktober 2007

090 | Brandenburg ...

Letztens war ich in Brandenburg, der Stadt. Dabei hatte ich trotzdem den Ohrwurm von Rainald Grebe im Kopf, der sich nicht auf die „Wiege der Mark“, sondern auf das Land bezieht:

„In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt. Was soll man auch machen mit siebzehn, achtzehn in Brandenburg ...“

So schlimm war es natürlich nicht. Aber dennoch: Selbst Freunden erscheint das erinnerte Brandenburg an der Havel trist und seelenlos. Obwohl es noch diese gefühlte Seele, diese gefühlte DDR gibt. Dort, wo die Stadt im Westen angekommen ist, wo saniert und gebaut wurde, entsteht bei demografischer Rückschrittlichkeit leider bloß der traumhafte Eindruck eines potjomkinschen Dorfes. Beispielsweise vor der wunderschönen Jugendstilvilla Lehmann in der Plauer Straße.

Authentischer wirken irgendwie die zerfallenen Bauten oder gar mutwillig Zerstörtes - wie der Webcam-Monitor auf der Brücke am Domstreng und der Parkautomat davor. Das ist Brandenburger Jugendkultur wie sie im Rufe steht! Da steht sie sogar Berlin in nichts nach. Für den fehlenden wirtschaftlichen Antrieb Brandenburgs springen Fördervereine und Förderprogramme als Ersatzmotoren an. Der Rest ist Schläfrigkeit, trotz der hübschen Beschreibung des „Lebens in der Stadt“ in der Webpräsenz.
Die Alte Mühle am Mühlendamm illustriert den Zustand Brandenburgs: Ein sanierter und ein ruinierter Gebäudekomplex werden von einer Brücke verbunden. Darunter fließt Wasser, fließt Zeit.

Weiter westlich, am Salzhofufer, sitzen die Trinker. Sie haben sich viel Würde im Verborgenen bewahrt und stieren fatalistisch wie Angler auf die Niedere Havel. Als würde dort eines Tages eine Antwort vorbeischwimmen oder ein Schiff anlegen, das sie mitnimmt.
Nach einer Zeitreise ins 11. Jahrhundert wird ihnen wahrscheinlich nicht der Sinn stehen, vielleicht aber der damit verbundene Weg, der aus dem Schlamassel herausführen kann: Auf dem 11.000qm großen Areal direkt hinter ihnen bietet die BAS (Brandenburg an der Havel Arbeitsförderungs- und Strukturentwicklungsgesellschaft mbH) gestrandeten Existenzen die Möglichkeit dafür. Ganz im Sinne der experimentellen Archäologie entstand und entsteht dort ein Slawendorf, das mehr ist als ein Abenteuerspielplatz für Schülergruppen oder ein Mittelalterfest für Besucher. Hier lernt man über archaische Arbeitsprozesse seinen menschlichen und sozialen Wert kennen.

Der tatsächlich im Mittelalter entstandene Dom („norddeutsche Backsteingotik“) enthält so viele erwähnenswerte Kunstschätze, dass man genügend Leute damit langweilen könnte. Interessanter ist wie so oft, was vielleicht nicht im Reiseführer steht. Da wären die sogenannten Drolerien zu nennen. Das sind im Brandenburger Dom an die Gewölbedecke gemalte Wasserspeier-Köpfe, die allerdings kein Wasser spucken sollen. Denn sabbern die offenen Münder, zeigen sie an den Stellen, wo einzelne Backsteine fehlen, ein undichtes Dach an. Auf Ideen kamen die Leute ...
Überhaupt die Backsteine. Da wurde früher von Tüchtigen eine Bodenfläche ausgehoben und wieder mit Lehm, Ton, Wasser, Sand und Pferden gefüllt. Jawohl, mit Pferden. Die stampften über Wochen alles zu Matsch und gaben Urin als Konservierungsmittel dazu. Der verhinderte Salpeter am späteren Mauerwerk. Darauf muss man auch erst mal kommen!
So ein in Form gebrachter Matsche-Stein wog seine 9 kg. 600 Stück davon musste ein Arbeiter in 12 Stunden pro Tag fertigen, bevor er als Wackerstein ins Bett fallen konnte.
Steine ganz anderer Art befinden sich am Haupteingang des Domes. Dort sieht man erhobenen Hauptes fabelartige Szenen auf Kalksteinkampfern: Ein Fuchs als Priester predigt den Gänsen, bevor er sich auf sie stürzt und dafür letztlich hingerichtet wird. Vis-á-vis spielt ein Affe Schach, daneben lässt sich ein Hebekran erkennen ... Der Sinn erschließt sich nicht überall. Was die Sache für mich spannend macht. Wer hinterließ solche Rätsel?
Und was waren das für junge Männer, welche ihre Namens im 16. Jahrhundert ins Chorgestühl ritzten? „Peter“ steht dort, glaube ich mich zu erinnern, und „Johannes Stabe“. Ob es irgendwo noch mehr Spuren von diesen „Scratchern“ gibt? In einem Archiv, einem Kirchenbuch? Wer waren Peter und Johannes?

Vor etwa 10 Jahren wanderte ich im Herbst mit einem Freund zwischen Jena und Auerstedt herum. Wir wollten auf den Feldern der Schlacht von 1806 eine Nachlese halten, Patronenhülsen oder Koppelschlösser finden. Außer einem verendeten Bussard fanden wir jedoch nichts. Aber mein Freund, der Hobby-Archäologe, zeigte mir bei sich bereits gefundene Schätze. Da war nichts, was das Denkmalamt auf den Plan rufen könnte: ein paar Scherben von „frisch abgeregneten Äckern“, nicht mehr. Doch eine dieser Scherben war sein ganzer Stolz. Ich konnte nur zuerst nicht erkennen, warum. Sie war terrakottafarben, klein und ohne Muster. „Aber der Fingerabdruck!“, sagte mein Freund. „Vor beinahe 2000 Jahren hat ein römischer Töpfer auf genau dieser Scherbe seinen Fingerabdruck hinterlassen!“ Das beeindruckte mich.
Und es ist wie mit den Namen im Chorgestühl, nur bescheidener, weil zufällig.
Was bleibt insgesamt von menschlichen Spuren im kollektiven Gedächtnis erhalten?
Im Brandenburger Dom hängt das Familienwappen derer von Katt. Es zeigt eine Katze mit erlegter Maus im Maul. Der berühmteste von Katt ist als Katte durch seinen Tod für den geliebten preußischen Thronfolger Friedrich II. bekannt, der mit ihm stiften gehen wollte. Das mit dem Tod weiß man. Wer weiß aber etwas über Kattes Leben? Er bleibt als die Maus aus seinem Familienwappen in Erinnerung.

In der St.-Petri-Kapelle neben dem Dom hängen an der Empore die Wappen anderer honoriger Familien, zum Beispiel das der von Ribbecks aus dem Havelland. Wie viele Familienmitglieder dieses Namens wird es gegeben haben und geben? Und wie viele ungeschriebene Romane gehen damit einher? Was aber erinnert wird, ist eine Birne, ist ein Gedicht aus der Feder eines ganz anderen „Fon“.

Die Petri-Kapelle ist übrigens nur selten zugänglich, zumeist bei Kunstausstellungen. Eigentlich viel gab es auch nicht zu sehen, doch empfand ich die Atmosphäre als äußerst erwähnenswert. Der Gang durch den verwilderten Vorgarten, in dem ein Holzkahn modert, war wie der Eintritt durch eine geheime romantische Pforte. Dazu das stille Herbstlicht ...



In der Kapelle roch es nach alten Zeiten, Kirchenbüchern und Familiengruften. Das weiße Zellengewölbe kontrastiert dort alles etwas futuristisch. Die offenen Sakramentsnischen sind leer, wirken aber vollkommen. Und dass der letzte Slawenfürst Brandenburgs unter der Kapelle begraben sein soll, war fühlbar möglich.




Brandenburg. Brandenburg ist nichts Homogenes, sondern die Summe aus Eindrücken. Brandenburg hat Potential, ist Berlin im Kleinen, nur verwurzelter, weniger sexy, aber genauso arm. Genauso reich.

Dienstag, 18. September 2007

089 | Wieder in Dresden

Am Wochenende befand ich mich bei ungeahnt mildem Wetter in Dresden. Ein liebes Freundespaar heiratete, und die Sonne erwärmte sich ordentlich für sie.
Nach einer Art Polterabend in der Wohnung der Brautleute zog ich vor Mitternacht mit dem Bräutigam und seinen männlichen Gästen zur Junggesellennacht aus. Es ging zur Wiedereröffnung der legendären Kakadu-Bar im Stadtteil Weißer Hirsch. Sogar ein Film wurde vor 3 Jahren danach benannt („Der rote Kakadu“), aber der floppte.
In den 50ern war die Bar ein szeniges Tanzlokal, ein Jazz- und Rock´n´Roll-Keller. Jetzt tanzt dort Schicki mit Micki, paffen Designerbrillen teure Zigarren am Tresen.
Die Inneneinrichtung der Bar ist schon beeindruckend, die Kellner sind perfekt gekleidet und geschult. Da lässt sich nichts sagen. Aber der Kakadu wurde wiederbelebt und auf schwarze Zahlen abgerichtet, womit der Mythos stirbt. Denn der Geldadel bringt selten wahre Rock´n´Roller zum Vorschein. Der Mythos wird von Anzugträgern totgetanzt, die sich steifhüftig vor schönen Frauen bewegen. Als Beobachter kam ich mir wie ein „Englishman in New York“ vor, nur eben umgekehrt. Und trotz der schummrig-warmen Beleuchtung fröstelte es mich deshalb ein wenig.

Nach viel zu wenig Schlaf ging es morgens zum Standesamt der prachtvollen Villa Weigang, in der jeden Sonnabend 20 Paare heiraten.
„Bitte Ruhe! Eheschließung!“ empfängt eines von vielen typisch deutschen Schildern, bevor alle Beteiligten kleinlaut die neu-kurfürstliche Amtsstube betreten. Gerade mal „ja“ durfte das Brautpaar nach einer gewöhnlichen Zeremonie sagen.

Entspannt lief unsere Gesellschaft hinterher an der Elbe entlang zum berühmten SchillerGarten, wo direkt neben dem Blauen Wunder erstklassig gebruncht werden sollte.

Schiller war zwischen 1785 und 1787 auf der gegenüberliegenden Elbseite Gast eines Freundeskreises um Christian Gottfried Körner, Vater des dichtenden Befreiungskriegers Theodor. Man kümmerte sich um den mittellosen Schiller. Und Körner wurde für ihn nach dessen Tod nicht nur Verleger der ersten Gesamtausgabe seiner Werke, sondern zu Lebzeiten neben Goethe auch wichtigster Freund. Von der körnerschen Gastfreundschaft begeistert schrieb Schiller seine „Ode an die Freude“.
In der später nach Schiller benannten Schankwirtschaft lernte der Dichter Justine, die anmutige Tochter der Wirtin, kennen, welche ab und zu die Gäste bediente. Sie musste, nachdem sie ihm sein Glas Milch gebracht hatte, mit ihrer schönen Stimme am Spinett vorsingen. Schauspielerin sollte sie werden, befand Schiller enthusiastisch. Aber das schickte sich damals nicht. So wurde sie Anwaltsgattin und Senatorenwitwe, bevor sie 93-jährig verstarb. Schiller machte sie aber zuvor als „Gustel von Blasewitz“ im Wallenstein unsterblich. Und hätte Schiller wie ich das Rührei mit Lachs im SchillerGarten genießen dürfen, hätte er sicherlich eine weitere Ode geschrieben.

Am Ende einer nachmittäglichen Auszeit fand die eigentliche Hochzeitsfeier auf dem Schloss Nöthnitz statt, was einmal „Viehhof“ bedeutete und nun für Studienzwecke oder Feierlichkeiten zugänglich ist.
Bis heute ist nicht nur der Baumeister des Renaissance-Schlosses unbekannt, sondern für viele Dresdner sogar das Schloss selbst. Obwohl es nur 10 Autominuten vor der Landeshauptstadt liegt, musste der Taxifahrer gelotst werden.
Dabei ist das Anwesen durch Winckelmann berühmt geworden, welcher als erster Kunsthistoriker und Archäologe überhaupt gilt. Der Sohn eines Schusters arbeitete von 1748 bis 1754 in der Bibliothek des Schlosses und durfte die 40.000 Bücher umfassende Sammlung für private Forschungen nutzen. Nach Dienst, versteht sich. Was hieß, dass er sich von 3.00 Uhr bis 7.00 Uhr morgens und ab Feierabend bis weit in die Nacht mit der Antike beschäftigte. Offenbar kam der Mann ohne Schlaf aus.
Später unternahm er Studienreisen nach Italien, verfasste wissenschaftliche Schriften und sorgte dadurch dafür, dass der Klassizismus den Rokoko ablöste.
Mit 50 Jahren fiel Winckelmann einem Raubmörder zum Opfer. Da der Kunsthistoriker schwul war, könnte das bei seinem Tod allerdings auch eine gewisse Rolle gespielt haben.

Ganz klar, dass viele der Schlossräume mit Bücherschränken, Abgüssen römischer Skulpturen und Veduten-Stichen ausgestattet sind. Der Rokoko-Festsaal jedoch atmet ganz den Geist des Ancien Régime: herrschaftliche Ölgemälde vor heller Purpurtapete aus Damast, ein stucküberdachter Kronleuchter in der Mitte des Raumes.
Aber vor allem das Abendmenü sorgte dafür, dass ich mich recht nobel fühlen konnte: Vitello tonnato und andere Antipasti eröffneten nach der Rede des Bräutigams den lukullischen Reigen. Mit Poularde, Rinderragout oder gefüllten Crépes, Weiß- oder Rotwein tanzte die Zunge sich vor zum Dessert. Wahlweise gab es Zuppa inglese, Tiramisú oder Apfeltarte aus Blätterteig. Dazu Crémant und natürlich Prosecco.
Die Gäste rekrutierten sich aus Schauspielern, Musikern und anderen Kreativen. Statt dröger Sättigungsspielchen und vieler Reden wurde am Flügel gespielt und gesungen.
Bevor es um Mitternacht ans Tanzen ging, spielten die zwei engagierten DJ´s Free Jazz. Ich als Banause sah, dass sie ihr Saxophon und Schlagzeug beherrschten, aber hörte es nicht.

Insgesamt hielten mich meine Begeisterung und die netten Gespräche bis in die frühen Morgenstunden wach. Und die Begeisterung hält noch an.
Diese Hochzeit war nicht nur im eigentlichen Wortsinn ein Fest. Denn ich traf jede Menge Menschen, die nicht nur interessant, sondern vor allem auch sympathisch waren. So wie Dresden, in das ich mich von Besuch zu Besuch mehr vergucke. Nu, nu!

Donnerstag, 6. September 2007

088 | Summer´s almost gone

Lebkuchen zum Kaffee, Regen wie im Oktober und mit Strickjacke am Schreibtisch sitzen. All das deprimiert mich nicht wirklich. Mit etwas mehr Zeit würde ich das Couchwetter sogar genießen. Aber wenn ich „Fallende Blätter“ von Element of Crime höre oder „Summer´s almost gone“ von den Doors, dann wird mir schon zugig ums Gemüt. Eben dort, wo es vor kurzem noch leise liebliches Geläute gab.
Irgendwie endet jedes Jahr mit dieser September-Melancholie. Denn was danach kommt, ist kaum erwähnenswert. Um so schlimmer, wenn die Bäume jetzt noch auf Grün stehen und selbst Altweibersommertage als Frist das Ende höchstens verlängern helfen.

Dieser Sommer war nicht groß, beseh´ ich mir die magere Ausbeute: viel Arbeit und wenig Muße zum satt werden. Allerdings gab es gute und bessere Momente. So war ich bei einem SEEED-Konzert und tanzte gleich auf mehreren Hochzeiten. Ich saß aber nicht ein einziges Mal im Biergarten oder am Meer. Dafür in Mecklenburgs Mitte, wo es wegen der Einsamkeit weitaus schöner sein kann.
Und wie ich diese Landschaft liebe! Den Geruch von Wasser, Wildwiesen und Wäldern. Den Anblick zerfallener Gehöfte und liebevoll sanierter Katen.
Auf Mecklenburgs Seenplatte gibt es Himmel im Großbildformat, mit Schwalbenschrillen und mehr sichtbaren Feldsteinen als Menschen.
Mich fasziniert, dass es so bereits in meiner Kindheit war und wohl auch vor 200 Jahren. Nur stehen heute andere Bengel an der Elde in Plau und angeln wie Huck Finn nach Barschen.
Stehen bleiben. Gedanklich zurückreisen. So immunisiert sich der Großstadtallergiker.

Gern würde ich wie Eichendorffs Taugenichts mein Ränzlein packen und in die weite Welt hinauswandern. Dem Sommer und der Romantik hinterher. Und vielleicht tue ich es auch eines Tages. Wenn es möglich und Zeit ist. Durch Brandenburg nach Norden. Oder südwestlich in den Harz. Mit Fontane oder Heine als Begleiter.

Diesen Sommer ging ich höchstens spazieren, am Nordrand der Schwäbischen Alb. Hätte ich Urlaubskarten verschickt, stünde auf ihnen: Wetter gut, Landschaft gut, Essen gut.
Hätte ich einen langen Brief nach Hause verfasst, schriebe ich, dass mir die Heimat fehlt. Und damit meine ich die Natur, die einen Dialekt spricht, welchen das Herz am besten versteht.

Draußen wird es bereits dunkel und richtig kalt.
Aber ehe ich noch die letzte, die existentielle Strophe aus Rilkes „Herbsttag“ deklamiere, lautet mein lapidares Fazit:

Der Sommer war nicht groß, aber: Herr, es ist Zeit!

Sonntag, 8. Juli 2007

087 | "Die schönsten Franzosen kommen aus New York"

Gestern war ich in der Neuen Nationalgalerie, um mir die französischen Meisterwerke aus dem 19. Jahrhundert anzusehen, welche das New Yorker Metropolitan Museum of Art ausgeliehen hatte. Nach der MoMA also ein weiteres Massenspektakel.

Obwohl ich mir vor und zu Bildern gerne eigene Gedanken mache, gönnte ich mir einen Audioguide. Das hatte den Vorteil, dass ich mehr sah, weil ich mehr erfuhr. Außerdem bekam ich nicht viel von den überflüssigen Bemerkungen der anderen Ausstellungsbesucher mit. Nur einmal hörte ich einen Mann sagen: „Hier kann ich mich nicht in die Bilder versenken!“ Was hatte er auch erwartet? Man geht ja schließlich nicht in die Disco und beschwert sich darüber, dass man sich nicht in Ruhe unterhalten könne.
Mir gelang hingegen die zeitweilige Zwiesprache mit den Gemälden. Mal halfen die ersten Takte von Debussys „Clair de lune“ nach, mal sprach mich ein Bild direkt beim Vornamen an. Und es waren nicht immer die bekanntesten. Hier eine Idylle aus farbigem Licht, dort ein entrückter Gesichtsausdruck. Ich konnte mich in der „Disco“ tatsächlich etwas „versenken“. Es war wie eine VIP-Party, auf die ich mich gefreut hatte, bei der ich innehielt und die Prominenz in Ruhe betrachtete: Ingres, Degas, Manet, Monet, Renoir, Cézanne, Gauguin, Van Gogh ...
Auf einen alten Bekannten freute ich mich ganz besonders: Modigliani! Hier rückte er wieder in mein Bewusstsein, mit seinen Porträts und Akten voller Poesie. Obwohl Konturen und Flächen auf das Wesentliche zurückgeworfen sind, lassen sich Tiefe und Melancholie perfekt ausloten. Hinterstrahlt von Künstlerlegende und finaler Tragik: 1920 starb der junge alkoholkranke Bohemian an Typhus und ließ eine schwangere Frau und ein kleines Mädchen zurück. Aber Jeanne, so hieß seine 19-jährige Geliebte, stürzte sich einen Tag später vom Dach ihres Hauses in den Tod.
Modiglianis Tochter wuchs bei einer Tante in Florenz auf und wurde später die Biografin ihres Vaters. Eine therapeutische Lebensaufgabe.

Vor vielen Jahren reizte es mich, so zu leben wie Modigliani. Oder wie Jim Morrison. Nur wollte ich natürlich nicht so enden. Dann lieber wie Oscar Wildes Dorian Gray, der alle erdenklichen Gifte in sich aufnimmt, welche man ihm aber nicht ansieht. Eine alterslose Stil-Ikone der Jugend. Heute betrachte ich das Altern als philosophische Notwendigkeit, um sinnvoll mit dem Zeit-Guthaben umzugehen. Und ich lebe meistens vernünftig. Das ist die Voraussetzung für Dauer und Zufriedenheit. Aber das reicht natürlich nicht. Manchmal muss man sich eben etwas Gift unter die Hausmannskost mischen, um auf das Wesentliche zurückgeworfen zu werden, um Tiefe und Melancholie auszuloten.

Ließen mich die drei ausgestellten Modigliani-Bilder still und nachdenklich werden, so entzündeten Van Goghs „Schwertlilien“ und „Zypressen“ ein regelrechtes Feuer der Begeisterung in mir. Van Goghs Malerei muss man im Original betrachten, um sie fühlen zu können. Eine wahnsinnige Lebensgier scheint den glühenden Pinsel geführt zu haben, der züngelnde und qualmende Spuren hinterließ. Denn bei Van Gogh war alles Opferfeuer für die Sonne.

Die „schönsten Franzosen“ oder die Créme de la créme aus New York ist massengefällige Kunst, keine Frage. Aber das war sie ja nicht immer. Und wenn man seinen eigenen Weg durch die Ausstellung nimmt, seine Erfahrung in den Bildern widerspiegelt, dann hat das Ganze auch bewusstseinserweiterndes Potential. Man muss nur genau hinsehen.

Die VIP-Party ist übrigens noch bis zum 7. Oktober in vollem Gange.

Freitag, 18. Mai 2007

086 | Alte Karten und Briefe

Meine größten Schätze bewahre ich im Oberstübchen auf: in zwei Kartons auf dem Dachboden. In dem einen befinden sich Fotos und Schriftstücke meiner Familiengeschichte, in dem anderen Briefe und Ansichtskarten, die ich früher erhielt.
Die erste Post erreichte mich bei der Kur. Da war ich vier Jahre alt und fühlte mich sehr einsam, denn Mutter-Kind-Kuren waren noch nicht erfunden. Die Prinzenrolle von meiner West-Oma, welche Knabbertrost hätte spenden können, wurde mir aus Gründen einer ausgewogenen Ernährung abgenommen und beim separaten Kaffeekränzchen meiner Erzieherinnen konsequent vernichtet. Ich sah es, als ich mich wegen irgendeiner Frage vertrauensvoll an sie wenden wollte.
Abends sang Reinhard Lakomy melancholisch zu Sandmanns Abendgruß:
"Geschichten erzählen von Freude und Fleiß, Geschichten erzählen, die noch keiner weiß. Frag doch die Leute, frag doch die Leute ... frag die Leut." Da wurde ich noch trauriger.
Wie unbeschwert sahen dagegen meine Eltern auf dem alten Hochzeitsfoto aus, das ich mir an einen freien Nagel übers Bett gehängt hatte. Von ihnen erhielt ich die meiste Post, vor allem Ansichtskarten, weil ich noch nicht lesen konnte. Ich sah sie mir immer vor dem Einschlafen an. Nach vier Wochen konnte ich die Karten bereits thematisch sortieren: Tiere, Sandmannfiguren, Karten mit Berlinmotiven, Karten aus dem Indianermuseum Radebeul, Szenen aus Rotkäppchen. Dieses Märchen spielte ich als erstes nach, schließlich kannte ich es auswendig. Später dachte ich mir Dialoge für die Kartentieren aus. Die Rückseite eines Stuhles war meine Puppentheaterbühne.
Briefe, welche meine Erzieherin nach Hause schickte, sind ebenfalls erhalten. Ich zeichnete dazu mit dem Buntstift Schiffe, Häuser und Gärten, aber auch einen Jungen mit Schirmmütze, der an vielen Luftballons hängt und am Fernsehturm vorbeifliegt, nach Hause.
Als mich meine Eltern vom Bahnhof abholten, sollte ich sagen, welche Veränderung ich bei meinem Vater feststellen konnte. Eine neue Jacke? Die Sonnenbrille? Ich wusste es nicht. Es war der Bart. Mein Vater hatte sich einen Vollbart wachsen lassen, und mir war es nicht aufgefallen.

Die Post, die ich im Ferienlager erhielt, erscheint mir heute weniger bedeutsam, obwohl ich nach dem Mittagessen immer ganz aufgeregt war, ob was für mich dabei wäre. Wichtiger waren Briefe, die wir Kinder uns nach jedem melodramatischen Abschied zuschickten, als der Heimatalltag uns wieder hatte. Wir nahmen uns fürs nächste Jahr vor, gemeinsam im selben Durchgang dabei zu sein, was wegen der Urlaubsplanung unserer Eltern jedoch nicht immer klappte. Nach zwei, drei Briefwechseln schlief die Schreiblust stets wieder ein. “Aus den Augen, aus dem Sinn” hatte meine Mutter gesagt. Und ich wollte es nie wahrhaben.
Manchmal entspann sich jedoch eine Brieffreundschaft, die Jahre hielt, bis zum Ende der Kindheit oder spätestens bis zum Prüfungsstress in der 10. Klasse.

Die wertvollste Post ist aber die der Jugendlieben: Briefe mit Herzchen, Gedichten, gepressten Blättern. Manchmal auch nur ein herausgerissener Zettel mit einer Adresse, einem übermütigen oder schmollenden Satz.
Gestern las ich mir einiges davon durch. Eine Anke P. lernte ich 1988 kennen. Das heißt, wir sahen uns höchstens dreimal. Sie war in der 9. Klasse, ich in der 11. Die Herbstferien verbrachte sie bei einer Tante auf dem Dorf. Anke schrieb mir Tagebuch-Briefe. Von der Öde dort, aber auch von einer merkwürdigen Begegnung mit einem Hirsch. Der stand morgens so versteinert wie sie auf dem Waldweg und starrte sie an. Dann lief er weg. So ähnlich war das wohl auch mit uns. Unsere Wege kreuzten sich zufällig, und wir hatten noch keine Scheu voreinander, legten unsere Herzen bloß, liebten oder benutzten uns, bevor ich im Dickicht verschwand. Bis dahin war aber alles ungeplant und möglich. Obwohl sie Friseurin werden wollte.
Meine Briefe wurden von Ankes Mutter nachgeschickt. Ich schrieb – sie zitierte mich – irgendetwas mit “Friedhöfen” und “zu sich finden”. Wie das eben so ist mit 16 oder 17.

Es mag pathetisch sein, aber mit meiner Jugend ging auch die Ära des Briefeschreibens und In-sich-Hineinhorchens zu Ende. Denn Handyanrufe und E-Mails sind – philosophisch gesehen – kommunikatives Fastfood. Es sei denn, man druckt sich E-Mails aus. Aber selbst dann fehlt die Handschrift.
Trotz dieser Erkenntnis bin ich allerdings auch nicht mehr zum computerlosen Briefeschreiben zu bewegen, was schade ist. Ich hüte, wie gesagt, nur noch meinen angegilbten Hort im Oberstübchen.

Es ist schon verrückt, was in alten Briefen steht, wirkt oft so präsent, dass man gleich antworten möchte. Dabei wurde das meiste vor 20 Jahren aufgegeben. Und wie in Brechts Gedicht “Erinnerung an Marie A.” - “Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer” - kann ich mich an manchen Namen, manchen Kuss von manchem Mädchen nicht erinnern. Und das ist sogar mehr als traurig. Denn was wird bleiben von unseren Erinnerungen, unseren Gefühlen, Worten und Taten? Ein Pappkarton mit Versatzstücken. Manches davon ist allerdings Impuls für weitreichende Erinnerungen. Z.B. ein Telegramm, in dem steht, wann ich in Bansin am Zeltplatz-Büro erwartet werde. Ich war 18 und wollte trampen. Mein Rucksack hatte Übergewicht, aber in mir traten alle Bands aus Woodstock noch einmal auf. Und obwohl ich von so gut wie keinem Autofahrer mitgenommen wurde, kam ich irgendwann auf Usedom an. Da mich wegen eines Missverständnisses niemand erwartete, schlief ich allein direkt am Meer. Abends wurden Strandfeuer entzündet. Bei Sonnenaufgang badete ich in der Ostsee. Am Vormittag trampte ich zurück.

Was sie wohl heute machen? Die, die mich einmal erwarteten und die, welche mich sitzen ließen. Die Verführung, nach ihnen zu googlen, ist groß. Brecht hat das wohl geahnt, als er sein lyrisches Ich an den Kuss unter einer weiß blühenden Wolke und einem Pflaumenbaum erinnern lässt:
“Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen” ---
“Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.
Doch jene Wolke blühte nur Minuten.
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.”

Freitag, 27. April 2007

085 | Ablenzen in Dresden

Mal wieder raus. Bei dem Wetter! Nach Dresden. Denn Dresden ist Spurensuche im unbekannt Vertrauten.
Einmal war ich wohl dort, als Kind, mit der Schulklasse im Hygienemuseum. Erinnern kann ich mich an die gläserne Frau und die schwarz-gelben Straßenbahnen, welche so ganz anders aussahen als die Berliner Trams. Dresden war fremd und ungemütlich. Vielleicht lag´s am Wetter, vielleicht am schwarzen Trümmerhaufen der Frauenkirche. Oder am Dialekt. Dresden, Leipzig, mir war es einerlei. Allerlei ist passiert seitdem.
Dresden ist Wiederaufbau, und darin beständiger als Berlin. Ich berührte die Frauenkirche und dachte an Romain Rollands "Pierre und Luce", an den gleichnamigen Song der SKEPTIKER. Dresden ist wieder gepflegtes Barock, ist sinnliche Architektur. Nachts überquerte ich durchs Kronentor den Hof des Zwingers. Ich kam aus dem Schauspielhaus, wo ich das Songdrama "Ewig jung" gesehen hatte. Von der Augustus-Brücke sah ich einem Feuerwerk zu, das bei den Brühlschen Terrassen gezündet wurde. Dann zog ich weiter in die Neustadt, dem "Szeneviertel" Dresdens. Szeneviertel sind vor allem immer auch Touristenviertel. Da kann Dresdens Neustadt fast schon mit dem gefälligen Berliner Scheunenviertel mithalten. Im "El Cubanito" traf ich mit Schauspielern zusammen, einige von ihnen hatte ich vorher auf der Bühne gesehen. Mit Flaschenbier und Mojitos redeten wir uns an der Mitternacht vorbei, ohne auch einmal auf die Uhr zu sehen.
Am Vormittag des nächsten Tages ging ich zum Elbufer zurück. Skater überholten Jogger, Jogger überholten Spaziergänger. Dasselbe Programm wie in Berlin, Hamburg oder München. Die gleichen Menschen vor wechselnder Kulisse.
Das macht mir Dresden heute so vertraut.

Freitag, 9. Februar 2007

084 | Abfahrt & Sushi


Schon am gestrigen Abend rauschten die Wellen ordentlich aufs Ufer. Wenn man sie nur hört und nicht sieht, hat es was Bedrückendes. So eine Art Post-Tsunami-Syndrom.
Auf der Binzer Seebrücke, die ich wenigstens einmal betreten wollte und wohin sonst mein erster Weg führte, wollten die Fotos wegen der steifen Schneebrise schnell gemacht sein. Nur die Möwen hatten ihren Spaß und lachten alle Kapuzenträger aus.

Wieder im Berliner Umland ging ich in „meinen“ Stahnsdorfer Sushi-Laden, wo die Misosuppe mit Butterfisch sogar besser schmeckt als die Fischsuppen, die ich auf Rügen bekam. Der edle Fisch als Einlage wird nämlich stets überschätzt. Das Geheimnis ist der intensiv schmeckende Fischsud. Danach gab es ein paar California Rolls – hmm, lecker!
Schade ist nur, dass der kleine Sushi-Laden trotz hervorragender Qualität, stilvollen Ambientes und sehr netten 33-jährigen Besitzers nach einem halben Jahr immer noch ein Schattendasein fristet, weil er zu unbekannt ist. Wer durch Stahnsdorf fährt, sollte unbedingt einkehren:

“Sencha Tee & Sushi”, Dienstag bis Sonntag 12 bis 22 Uhr, Kastanienweg 36 in Stahnsdorf, 03329/69 68 10, www.sushi-in-stahnsdorf.de.

Donnerstag, 8. Februar 2007

083 | Vor Liddow

Eigentlich sagte mir das Wetter: Junge, bleib, wo du bist, lies dein Buch weiter oder schlaf dich endlich mal aus! Keine schlechte Idee, das mit dem Ausschlafen. Denn jeden Morgen bin ich gegen 6.00 wach. Jeden. Dafür knick´ ich abends beizeiten ein. Ja, ich hätte aufs Wetter hören sollen. Aber ich wollte Fotos machen, mein Buch nahm ich trotzdem mit.
Ich hatte vor, „zum abgeschiedensten und schönsten Winkel Rügens“, dem „Liddower Haken“ zu fahren.
In Patzig sollte ein „Mühlenmuseum“ sein. Vielleicht ein Motiv, dachte ich. Aber zuerst gab es eine umständliche Umleitung mit Traktor- und Feldwegen. Unterwegs hielt ich am bronzezeitlichen Hügelgräberfeld der Woorker Berge. Hm. Reingucken müsste man können. Aber so ... Viele Wolken, viel kalter Wind, kein reizvolles Motiv. In Patzig: kein Hinweis auf ein Mühlenmuseum, nur die Gaststätte „Zur Mühle“. Den Ehrgeiz, mich durchzufragen, hatte ich nicht. So wichtig war mir das Ganze kaum. Wen hätte ich auch fragen können? Keine Einheimischen, keine Touristen. Abgeschieden, wie gesagt. Also weiter über Rappin zum Großen Jasmunder Bodden, weiter nach Liddow, zum Wasser. Dann der Feldweg. Mit großen Pfützen. Eine war so breit, dass ich über den Acker ausweichen musste. Und mich dabei festfuhr. Das erste Mal, total dämlich.
Ich überlegte, ob ich mit Pfadfindertricks was erreichen könnte, aber da hätte ich mich schon wieder eingesaut. Also den ADAC rufen, selbst auf die Gefahr hin, dass ich ausgelacht werde.
Dann saß ich eine Stunde im Auto und wartete. Links ein Acker, rechts ein Acker. Hier ein Hügelgrab, da eine Baumgruppe, wohin sich einige Rehe vor dem kalten Wind in Sicherheit brachten. Und ich mitten drin. Über mir brodelten die Wolken, um mich zischte das Wetter: Siehste, Junge, hättste mal auf mich gehört.
Na wenigstens hatte ich mein Buch dabei: Sven Regeners Herr-Lehmann-Nachfolger „Neue Vahr Süd“. Schön dick und unterhaltsam der Roman; und Zeit hatte ich ja nun.
Nachdem ich wieder mobil war, reinigte ich mein Auto in Bergen und gönnte mir später einen Sauna-Besuch und anschließend eine mit Schrimps gefüllte Scholle.

Mittwoch, 7. Februar 2007

082 | Groß Zicker/Mönchgut



Der dritte Tag sollte gemächlich werden. Trotz des anfangs unbeständigen Wetters beschloss ich, mich mit dem Auto und Fotoapparat auf Motivsuche zu begeben. Ich fuhr aufs Mönchgut nach Groß Zicker. Im Winter ist es ein idyllisches Fischerdorf mit auf Eis gelegten Heringen vor der Anlegestelle. Die reetgedeckten Katen deuten aber auf den Sommer mit weitaus besseren Einnahmequellen: Touristen.



Nun gut, ich bin schließlich auch einer.
Ein besonderer Hingucker und Hingeher ist die Dorfkirche von 1360. Die befindet sich mit umsäumenden alten Grabstellen neben dem Hotel und Fischrestaurant „Boddenblick“. Dort lässt sich auch leckerer Fisch essen, vor allem aber – wenn man aus der Kälte kommt – warmer Apfel- oder Pflaumenkuchen. Von der Oma mit „gouder Budder“ gebacken. Dazu eine heiße Schokolade, was will man mehr.
„Ist aber ein hübscher Ort“, sagte ich zur jungen, stämmigen Bedienung. Könne sein, erwiderte sie trocken, aber sie sei noch nie im Ort gewesen. Das ließ mich stutzen. Laut Autokennzeichen (es stand nur ein Kleinwagen vor dem Haus) musste sie aus der Müritz-Gegend kommen. Doch sie sprach die Zuckerbäckerin beim Betreten der Küche immer mit „Oma“ an, manchmal so laut, dass die Handvoll Gäste ihren Spaß hatte: „Oma! Ich soll dir für den Kuchen ein Kompliment machen!“ Wie in dieser alten Werbung mit Hella von Sinnen: „Ernaa!! Was kosten die Kondomäää?!!!“
Na und wenn das ihre Oma war, wenn die in Groß Zicker sogar wohnte, warum kennt sich die Enkelin in dem vielleicht 100-Seelen-Nest nicht aus? Und warum muss sich der Gast wie an einer Tankstelle den Schlüssel für die Toilette geben lassen? So viele Nichtgäste mit unerledigter Notdurft liefen nun wirklich nicht in Groß Zicker rum. Aber trotz dieser „regionalen Besonderheiten“ war es im „Boddenblick“ wie im Ort sehr „püschelig“, wie eine Hamburger Freundin gesagt hätte.





Das „Pfarrwitwenhaus“ von 1723 ist mit seinem zipfelmützenartigen Rohrdach natürlich „das Postkartenmotiv“. In dem Haus aus Holz und Lehm kamen einst mittellose Pfarrwitwen unter. Und bis 1984 wurde die Kate noch bewohnt, bevor man ein Museum daraus machte, um den Touristen etwas zu bieten.
Wer zuletzt hier lebte, würde mich natürlich interessieren. Vielleicht eine in die einsamen Jahre gekommene Seemannsbraut.

Unweit vom Pfarrwitwenhaus bündelte und schnürte ein Mann bei Sonnenschein Binsen für die Reetdächer. Aus seinem daneben stehenden offenen Auto sang Cat Stevens „Lady D'Arbanville “. Der Mann drehte lauter, was mir gefiel; weil es zur Stimmung passte und weil ich das sentimentale Lied schon immer mochte. Backsteinwände wurden von Baumschatten gestützt, von den moosigen Schilfdächern tropfte getauter Schnee.



Auf dem Rückweg machte ich Sonnenuntergangsaufnahmen zwischen Lobbe und Middelhagen: das letzte von 18 Windrädern, mit dem früher für die Landwirtschaft Wasser aus dem sumpfigen Boden gepumppt wurde, zwei nebelumwallte Hünengräber bei Lancken-Granitz, Rehe in der Dämmerung. Aus ferner Nähe vernahm ich das Eisenbahnsignal des „Rasenden Rolands“.



Aber ist schon komisch: Vor Ort spürt man oft die Magie einer Landschaft, das, was Caspar David Friedrich festgehalten hat, aber wenn man sich die Bilder am Rechner ansieht, wirkt vieles nur hübsch oder gar kitschig.

Den Abend beschloss ich in Binz in der „Brasserie Villa Salve“. Zwischen dem 2:0 und 3:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Schweiz machte ich mich über Dorsch mit Rosmarienkruste und Weißburgunder her.

„Mönch am Meer“ (nach C. D. Friedrich)

Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ ...
Das Bild ist bekannt, es hängt in Berlin.
Doch was ist, Mönsch, mit ihm?
Was denkt er, wo steht er genau und wo kam er her?

Vom Mönchgut auf Rügen stammte er.
Und täglich sah er von Klein Zicker aus
Nach Groß Zicker, zum Pfarrwitwenhaus
Verliebt übers zickersche Meer, der Herr.

Die Pfarrwitwe wusste unterdessen
Nichts von seinen Avancen.
So verblühte sie wie seine Chancen
Und verlegte sich aufs Heringsessen.

Der Mönch wurde von Friedrich skizziert,
Als Kummeraal am Strand von Klein Zicker.
Die Witwe wurde alt und vom Hering dicker,
nur nicht von ihm, nix ist passiert.

Ach doch: Die Witwe starb recht adipös;
Man setzte sie dem selgen Pfarrer bei.
Das Pfarrwitwenhaus stand nun wieder frei
Für die nächste Großzicke ohne Erlös.

Der Mönch ward drum gottlos, aber gewillt
Den Strand zu verlassen. Noch etwas blasser
Betrat er recht malerisch zickersches Wasser
Und trieb bald aus dem romantischen Bild.

Dienstag, 6. Februar 2007

081 | Binz und Sellin

Nach einem ausgedehnten Frühstück wollte ich an den Strand. Es war wie immer: sanfte Wellen, Möwen und Kapuzenpaare mit archaischer Sammelleidenschaft. Die Frauen waren, wie so oft, die Aktiveren. Alles Kunsterzieherinnen, dachte ich. Einige hatten sich auf glattgelutschtes Treibholz spezialisiert, andere wollten nur was für die Jackentasche: Muscheln und was sie für Bernstein hielten. Was eine dieser Kapuzinerinnen allerdings mit dem feuchten Muschelsand vorhatte, den sie in eine Plastiktüte schaufelte, bleibt mir ein Rätsel.



Schnell war ich am südlichen Strand angelangt, wo ein unterirdischer Flusslauf über 885 m vom Schmachter See in die Ostsee fließt. Dort befindet sich auch die futoristische Rettungsstation des Binzer Architekten Ulrich Müther, der auch den „Teepott“ in Warnemünde entworfen hat. Die Rettungsstation (1968 gebaut, 2004 saniert) ist so rundlich wie ein auf die Seite gelegtes Ei. Und sie sieht aus wie ein Sandmann-UFO aus dem Filmstudio Babelsberg. Ein tolles Fotomotiv in Weiß, wenn vereinzelte Moos-Spuren wegretuschiert werden.

Die ganze Zeit über war nasser Schnee gefallen und hatte inzwischen meine Mütze aufgeweicht. Dann kann ich auch weitergehen, dachte ich. Immer am Wasser lang, irgendwann bin ich in Sellin.
Irgendwann war ich aber nur noch als einziger unterwegs. Aus dem feinen Sandstrand war eine Geröllwüste geworden, kilometerlang. Nasse Rundsteine, welche ein Eiszeitgletscher vor sich hergeschoben haben musste, bis er vor dem Hochufer kapitulierte. Ich kapitulierte nicht, auch nicht, als die ersten Bäume den Weg versperrten. Darunter wegtauchen, darüberklettern, runterspringen und noch einmal und noch einmal. Auch kilometerweit. Von 4 Jahren Karatetraining war nicht viel Wendigkeit übrig geblieben und von 4 Marathonläufen höchstens ein dumpfes „Weiter!“.
Weil ich Promenier- statt Workout-Klamotten anhatte, ärgerte mich schon der erste Moosstriemen auf der Hose. Den zweiten steckte ich besser weg. Als Schuhe und Hosensäume nass und schlammig wurden, mir der Mützenlappen unentwegt über die Augen rutschte und ich mich schon 4 Stunden unterwegs befand, war mir alles egal. Merkwürdig nur, dass die Selliner Seebrücke immer weiter wegzutreiben schien, nachdem sie überhaupt aufgetaucht war. Es war bloß gut, dass kein eisiger Wind wehte.



Für die Landschaft hatte ich kaum Blicke. Ich musste beständig darauf achten, nicht neben einen der Steine zu treten, schließlich saß ich vor einem Jahr wegen Beinbruchs noch im Rollstuhl und die Metallschiene ist immer noch am Knöchel angeschraubt. Aber beim Innehalten: Drei Schwäne bilden im Wasser ein gleichschenkliges Dreieck, zwei identisch gekleidete Angler blinkern nach Meerforellen, einen Wellenschlag neben mir das Steilufer, aus dem vor kurzem etwas abgebrochen zu sein schien.
In Sellin ging es dann noch einen Steilweg hoch. Oben stellte ich fest, dass es auch einen Aufzug gibt. Aber darauf kam es nun genauso wenig an wie auf den fortzusetzenden Weg zur Bushaltestelle. Unterwegs der Vergleich mit Binz: Sellin wirkt bedrückender. Altdeutsches Flair, Erinnerungen an DDR-Zeiten, viel Grau, wo Weiß war.
Wieder in Binz duschte ich, zog mir den feinen Zwirn an und leistete mir als Kontrast zum Survival-Training ein erlesenes Essen im „Olivio“, einem Hotelrestaurant.
Vor den Terrassenfenstern hingen unzählige Lichterketten, die sich in den polierten Weingläsern widerspiegelten. Hinter milchiggrünen Plexiglaswänden wächst erleuchtetes Bambusgras. Sehr stilvoll, sehr gemütlich. Die junge Kellnerin verstand ihr Handwerk und hatte darüber hinaus eine frische Art, die keine falsche Würde zuließ.
Alles sehr köstlich: die „Essenz von Meeeresfischen“ (Fischsuppe), der „Wildbarsch aus dem Strelasund“ auf „Gurkentagliatelle“ zu Püree. Dazu ein Gavi di Gavi, eine Crème brûlée als Dessert und ein Brandy als Abschluss. Gefühlte Vollkommenheit.

Montag, 5. Februar 2007

080 | Zurück und hin: Binz

Für ein Jahr war ich abgetaucht. Obwohl: Das Bild trifft es nicht. Ich schlug mich nebenberuflich als Wald- und Gelegenheitsarbeiter durch, gönnte mir eine Art Sabbatjahr. Statt blaue Blumen zu suchen, hackte ich Holz und war ausgeglichen wie Charles Ingalls aus „Unsere kleine Farm“. Mir reichte es, Poesie zu sehen, zu fühlen; ich musste sie nicht beschreiben.
Ich weiß, ich spreche in Rätseln.
Jetzt habe ich eine, wie ich finde, nutzerfreundlichere Homepage und bin motiviert, wieder mehr – besser: etwas – zu schreiben. Wofür so eine Auszeit alles gut ist.
Und weil man oft damit beginnen sollte, womit man aufgehört hat, bin ich zurückgekehrt nach Rügen. Immer wieder Rügen ...


Binz: Wieder im „Poseidon“ gegessen: fangfrischen Ostseedorsch auf Porree mit Kartoffelpüree. Tadellos! Das Essen. Die Bedienung hatte ich besser in Erinnerung. Eine war zu jung (Ich fragte nach Schnäpel, dem Steinlachs, den sie nicht kannte. Und sie wirkte im Umgang mit Gästen etwas linkisch), die andere war überroutiniert: Sie fragte, ob es geschmeckt habe, war aber bereits mit dem Geschirr in der Küche, bevor ich antworten konnte. Normalerweise bin ich da nicht so. Nein, wirklich, ich bin ein netter, unkomplizierter Gast, der auch schon einen Teller zureicht, wenn schwer an ihn ranzukommen ist. Aber im „Poseidon“, das in der Gastroszene hochgelobt wird, auf das ich mich jedes Jahr aufs Neue freue, sollte nicht nur das Essen tadellos sein. Als ich mich nun genauer umsah, entdeckte ich an der Wand Balsamico-Spritzer und einen ramponierten Lampenschirm. Sinnbilder, dachte ich.