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Mittwoch, 4. Februar 2004

068 | Die „Berlinale“ & „Das Magazin“

Morgen beginnt in Berlin die Berlinale. Aber das interessiert mich nicht wirklich. Bei mir muss es sich erst ordentlich rumgesprochen haben, dass ein Film gut ist, bevor ich ihn mir ansehe (so bei „Halbe Treppe“). Dann darf die Kassenschlange auch nicht länger als die von „Burgerking“ sein, sonst gehe ich lieber dorthin oder gleich in die Videothek. Ohnehin ist mir zur Zeit eher nach Hausmannskost: Nach langer Zeit hat mich eine ordentliche Erkältung erwischt, die es mir mit Nachholebedarf so richtig zu zeigen gedenkt. Jeden Tag gehen einige Packungen Taschentücher drauf, die Augen sind so wässrig trübe wie das Wetter da draußen und mein beim Atmen offener Mund würde mich für eine intellektuelle Herausforderung wie die Berlinale ohnehin zu debil erscheinen lassen.

Alles Ausflüchte, ich weiß. Ich bin halt kein Cineast und es würde mir beim Risiko-Kauf einer Kino-Karte nur ums Geld leid tun. Im Sommer wäre das was anderes. Die Berlinale als Open-Air-Event mit Friedrichshainer Volkspark-Charme kann ich mir gut vorstellen. So was Ähnliches gab es ja mal bis 1978. Doch der Februar war lukrativer, weil konkurrenzloser. Und die Schlangen vor den Kino-Kassen sind ja immerhin auch im Februar so lang, wie das Interesse groß ist. Wenn man von Leuten wie mir absieht.

Ich habe es ja noch nicht mal geschafft, mir „Lost in Translation“ anzusehen. Dabei weiß ich durch Trailer und Filmkritiken, dass mir der Film gefällt. So wie ich es von köstlichen Speisen weiß, die ich nie probiert habe, aber deren Rezepte ich kenne.
Also sitze ich zu Hause, lese mir köstliche Rezepte durch, koche etwas ganz anderes und schmecke – wegen des Schnupfens – ohnehin nichts.

Heute morgen sagte Fitness-Guru Ulrich Strunz, der gerade auf Teneriffa ist, bei RadioEins: „Wenn man die ganze Zeit hier ist, sehnt man sich nach dem deutschen Schmuddelwetter zurück ...“ Der Heuchler! Neulich beim Joggen dachte ich daran, wie er immer sagt: „Beim Laufen muss man lächeln, es muss leiiiiiiicht aussehen.“ Ich habe beim Laufen noch nie gelächelt, und ich laufe seit über 6 Jahren konsequent, nur eben jetzt nicht (schlecht fürs Herz). Herr Strunz würde bestimmt auch behaupten, die Gäste eines Wellness-Hotels sehnen sich nach Kindergeschrei, resozialisierte Ex-Knackis nach dem Strafvollzug, wohlhabende Mittelständler sehnen sich nach dem Sozialamt oder die als geheilt entlassene Patienten nach ihren überwundenen Krankheiten („Darf´s jetzt eine Metastase mehr sein?!“).
Ich jedenfalls sehne mich nach Sommer und – würde Herr Strunz nicht gerade dort sein – auch nach Teneriffa (mit Wellness-Hotel).


Im „Magazin“-Heft von vor 29 Jahren (Heft Nr. 2), das mir zufällig vorliegt, sitzt ein Mann im Morgenmantel am Frühstückstisch (von Werner Klemke gezeichnet) und sieht noch vergrämter drein als ich. Denn er durfte nicht mal von Teneriffa träumen und „wellness“ kam in seinem Schul-Englisch nicht vor.
Weil ich mich nicht um Kino-Karten kümmere, blättere ich das Heft etwas durch:
Reklame für „Staatliche Lebensversicherung der DDR“ (hat der DDR trotzdem nix genützt), Reklame für „Livio“-Kamillencreme (M 1,50) und „Pohli“-Gesichtswasser (M 2,55) von VEB Dresden Kosmetik.
Dann „Treffpunkt“:
„Berlinerin, 30 J., schlk., mit Hochschulbild., wü. Jg. Mann bis 34 J. m. marx. Weltansch. zw. spät. Heirat kennenzul. MA 6992 DEWAG, 1054 Berlin“
Vielleicht hat sie ja Glück gehabt mit so einem Mann. Vielleicht hat sie die Wendezeit inzwischen verdaut und beide feiern auf Teneriffa Silberhochzeit. Oder sie sitzt frustriert in einer Plattenbauwohnung und sagt bei den Nachrichten zu ihrem Mann: „Ich kann das mit den Reformen nicht mehr hören; damals in der DDR ...“
Weiter! Leserbriefe. Hans-Joachim Illguth aus Hermsdorf schreibt:
„Bis jetzt haben mir ihre Titelbilder immer gut gefallen, aber eins habe ich als Vertreter des männlichen Geschlechts zu bemängeln: Haben Sie schon einmal bemerkt, dass wir Männer stets als die Unterlegenen dargestellt werden? Es sieht immer aus, als gäbe es nur energielose Pfeifen! Meine Verlobte wartet jedes Mal nur darauf, um mir anhand des Magazintitelbildes klarzumachen, wer Herr im Hause ist. Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn Sie den Spieß einmal umdrehen würden!“
Ohne Worte und weiter: Erzählungen, Gereimtes, Porträts, Rätsel, Filmtipps, Karikaturen, Aktbilder, wieder Reklame (für Bücher, „Yava“-Spray, „Sküs“- und „regard“-Kosmetik, TeleLotto), aber auch eine Warnung des Deutschen Hygiene-Museums vor Medikamentenmissbrauch (Tabletten & Abführmittel).
Aus heutiger Sicht war das „Das Magazin“ gespickt mit Zeitlosem wie Skurrilem. Parteipolitisches fehlte. Aus jetziger Sicht: ein Wellness-Magazin! Viele der Schwarz-weiß-Fotos wirken lyrisch, melancholisch, zauberhaft, wie ich es in heutigen Mainstream-Medien vermisse.
Fast bin ich versucht zu sagen: „Damals in der DDR ...“ Aber das liegt nur an der Jahreszeit und an meiner Erkältung. Wenn ich wieder fit bin, werde ich hoffentlich über etwas Gegenwärtigeres zu berichten haben, das ich vor Ort auch beschnüffeln konnte. Bis dahin falte ich mir noch einige Taschentücher auf, blättre im „Magazin“ von Anno dazumal und fühle mich wie eine „energielose Pfeife“.

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