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Sonntag, 19. Oktober 2003

064 | An der Peripherie

Sonntagmorgen mit Sonne. Im Bett noch etwas gelesen: Alfred Polgar „Die Mission des Luftballons (Skizzen und Erwägungen)“. Will mir beim Altmeister des Feuilletons ein paar Anregungen holen. Dann raus aus dem Bett und Balkontür auf.
Startup mit Kaffee und Radio1. Thema „Platte“, also Glatze, läuft gerade, während ich schreibe. Vom Haarausfall zum anhaltenden Trend oder so. Kein Thema für mich. Meine Haare werden nur grau, halten aber an mir fest wie ich an ihnen.
Balkontür zu.
„Es ist arschkalt geworden“, sagten meine Freunde , als ich mit ihnen um die Häuser zog. Nur meine Nachbarin schreibt von einer sonnigen Terrasse aus Peru. Peru ... Peter Lichts Sonnendeck fällt mir ein statt Inkas und Lamas.

Freitagabend in die Sushi-Bar „Kuchi“ (Gipsstraße 3). An der Peripherie der hippen Mitte brummte der Laden. Ein Freund hatte zum Glück reserviert, und so mussten wir nicht hilflos im Eingangsbereich warten. Was für jeden Sie-werden-plaziert-Ossi so schlimm wie Schlange stehen ist.
Die Homepage www.kuchi.de hatte ich mir vorher schon angesehen. Sehr hübsch, mit Fotos von der Tatami-Lounge und dem Chillout-Garden, immer auch mit 360°-Rundumblick. Aber das Kuchi selber enttäuschte mich ein wenig: Die dienstbaren Japaner dort haben sich so stark von ihrem asiatischen Lächeln entfernt und sich der coolen Berlin-Attitüde angenähert, dass man als Gast das Gefühl bekommt, man sei nur ein kleines Maki-Röllchen. Somit hatte ich nach meiner Bestellung und nach 45 Minuten schon 3 Beck´s weg, aber noch keinen Bissen gegessen. Die Italiener überbrücken wenigstens mit Brot oder Bruschetta.

Gegen das, was dann aufgetischt wurde, lässt sich allerdings nichts sagen. Außer dass es für 9,- Euro zu wenig war. Ich hatte einer Empfehlung zufolge „My Best Friend´s Roll“ (6 Häppchen) genommen (Inside-Out-Roll gefüllt mit Gemüse-Tempura, umhüllt von zartem Lachs mit Spezial-Soße, die lecker nach Soja und Dijon-Senf schmeckte).
Um annähernd satt zu werden, bestellte ich gleich noch (halbe Stunde Wartezeit) ein Basic-Sushi-Menu mit Lachs, Thunfisch, Surimi und Kappa (7,50). Vielleicht gehört es ja zur Zen-Philosophie, dass man nach dem Sushi-Essen immer ein wenig ratlos bleibt.

Dann lieber wie gestern back to the roots: Für 4,- Euro eine Naan-Pizza mit Olivenpaste, getrockneten Tomaten, Rucola und Parmesansplittern in der Kastanienallee 49 (Ich habe darüber schon einmal berichtet). „Der Imbiss“ heißt der Imbiss schlicht und befindet sich an der Ecke Zionskirchstraße, dort, wo die Kastanienallee leiser geworden ist und zum Weinbergsweg hin abfällt.
Jeder, der vorbei kommt, freut sich über das umgedrehte Mc-Donald´s-„M“ am Fenster. Dahinter sieht man, wie ein junger bärtiger Koch sich auflodernde Flammen nutzbar macht. Neben dieser offenen Küche ist Platz für ein Dutzend Esser, und alles wirkt, als habe hier ein Weltenbummler eine mitgebrachte kulinarische Low-Budget-Idee umgesetzt. Wobei es zum Konzept gehören dürfte, sich Gängigem zu verwehren: „Tannenzäpfle“-Bier aus dem Hochschwarzwald statt Beck´s aus Bremen. Mein Tipp also.
Links vom Imbiss gibt es eine junge Kneipe ohne Namen. Dafür erstrahlt sie abends in einem gemütlichen orangen Licht. Orange sind sogar die schirmenden Markisen.

Rechts vom Imbiss, in der Nr. 48, gibt es einen 2nd-Hand-Plattenladen, der auch schon mal bis nach 20 Uhr offen hat. Im selben Haus – und viel augenscheinlicher – eine Pizzeria. „La Castagna“ – jede Pizza für 3,- Euro.
Egal, was man vom Weinbergsweg aus ansteuert, beim Überqueren der Zionskirchstraße muss man aufpassen. Weil aus der Kastanienallee schon mal ein Auto in die Einbahnstraße zum Zionskirchplatz schießt. Dort, am Zionskirchplatz, geht es aber dennoch eher entspannt zu. Empfehlenswert ist die „Kapelle“ (Zionskirchplatz 22-24). „Café“ und „Bar“ steht als rot leuchtende Neonschriftzüge in den großen Fenstern. Innen ist es gemütlich - Rotweinflair. Gut für´s Bleiben. Gemischte Oliven im Cocktailglas und besprochene Angelpläne für den fernen Mai.
Erst wenn sich die stilisierten Eidechsen an den Wänden zu bewegen scheinen, wird es Zeit zu gehen. Wer es sich wie ich dabei in den Kopf setzt, vorn an der Schönhauser noch eine Currywurst bei „Konopke“ zu essen statt eines Schawarmas beim Libanesen, wird enttäuscht: am Wochenende geschlossen. Und das, wo es so arschkalt ist, sagten meine Freunde vorwurfsvoll.

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