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Dienstag, 19. August 2003

Etwas bleibt immer

Von dem Sommer, der gepfändet wird,
Von dem Himmel, den der Kuckuck weiß,
Von dem Tag, der sich im Datum irrt,
Von der Quittung mit dem hohen Preis.

Von dem Hunger, den du satt gemacht,
Von dem Durst, den du zur Nacht ertränkst,
Von dem Rausch, der deinen Schlaf auslacht,
Den du nüchtern zur Erkenntnis drängst.

Von den Träumen, die du früh vergisst,
Von Gesprächen, macht ein Wort dich still,
Von der Liebe, die gegangen ist,
Und der Zeit, die dich verlassen will.

Donnerstag, 14. August 2003

059 | Alter Fritz & Fischers Fritz

Obwohl ich es ganz gut tagsüber (mit einem Arno-Schmidt-Buch) am Liebnitzsee - dem schönsten See im Berliner Umland (genauer: bei Wandlitz, türkisgrünes Wasser!) – und abends im Prater- oder Pfefferberg-Biergarten aushalten konnte, war mir manchmal die Zeit dafür doch zu kostbar. Also machte ich vor ein paar Tagen eine Führung im Schloss Sanssouci mit. Denn das Einzige, was ich mir von einem Besuch als Kind an Erinnerung herübergerettet hatte, waren die Filzpantoffeln. Die sahen – obwohl kratzig grau – lustig groß aus. Ich brauchte mir dafür die Straßenschuhe nicht auszuziehen und konnte über endloses Marmorparkett schlittern (bis ich streng angezischt wurde). Jetzt genoss ich die professionell vorgetragenen Informationen der Führerin (blödes Wort), staunte, dass die Räume kühler als erwartet waren und schmeckte das erhabene Interieur (hier ist Schwulst zu Hause!) mit meinen lückenhaften Kunst- und Geschichtskenntnissen ab. Verspieltes Rokoko und gravitätischer Klassizismus. Gefiel mir beides. Gold nur in den Königszimmern. Aber Voltaire hatte es auch ohne ganz nett. Schade, dass man die geheimen Zugänge nicht betreten darf (wie die Mätressen wohl ausschauten?).
Den alten Fritz versuchte ich mir so ganz anders als auf den Bildern vorzustellen: wie er an seinem Schreibtisch saß, sich morgens aus dem Bett schälte, eines Abends (?) in seinem Sessel verstarb. Am beeindruckendsten: der Marmorsaal, gerade bei der Hitze. Ich möchte wetten, dass ich als Kind nur die Marmorintarsien des Bodens im Auge hatte, nicht aber die ovale Pantheon-Kuppel, zu der sich die großen Geister der Tischgesellschaft übertragen und übersetzt emporschwangen. Da staunte ich höchstens von außen und weitem, während mich Erklärungen kalt ließen. („’Sanssouci’ heißt ‚ohne Sorgen’!“ – „Ja, ja ...“)
Warum nach „Sans“ ein Komma und hinter „Souci“ ein Punkt steht, fiel natürlich den wenigsten damals auf. Französische Grammatik! Schon die deutsche interessierte nicht. Heute schlaumeiern viele Besucher wie kurzatmige Oberlehrer, wenn sie die Treppen hochächzen:
„Kuck mal – das Komma – von Sans Soucie ... Weißt du, warum es ...“
Einige haben bestimmt das Buch gelesen von – na – wie heißt er gleich? (H. D. Kittsteiner) Soll so gar nicht oberlehrerhaft kurzweilig von Geheimzeichen (Punkt, Punkt, Komma, Strich :-) und der Impotenz Friedrichs des Kleinen handeln.
Vielleicht war ja doch alles nur grammatikalisches Versagen oder unpreußische Laxheit in einer Zeit, wo Staatsreformen wichtiger als Rechtschreibreformen waren. Schließlich habe ich mal folgende Fassadenerinnerung an einem Satteldachhaus gelesen: „Erbaut in Kriegsjhare 1914“.
Wie bekomme (um nicht „krieg“ zu sagen) ich jetzt die Kurve zur Berliner Gastro-Szene? Sollte ich schreiben, dass ich jemandem in einem der schattigen Cafés am Zionskirchplatz vom alten Fritz erzählte? Die Wahrheit ist viel grausamer: Ich drohte dort ständig an, „das Phänomen deutscher Romantik historisch“ erklären zu wollen. (Nicht wirklich, wollte nur Angst machen, also Spaß) Denn das wäre genauso aufschlussreich wie für den Kommunikationswissenschaftsstudenten, der in der inzwischen heillos überlaufenen Simon-Dach-Straße seinen Freunden (Probanden!) den 2. thermodynamischen Satz „ganz kurz“ erklären will. - Ein Thema, von dem er wie ich keine Ahnung hätte.
Viel besser ist es wohl auf der Restaurantterrasse bei „Fritz Fischer“ an der Oberbaumbrücke zu sitzen und auf die abendliche Spree zu sehen, während man am Frizzante nippt und sich zuraunt: „So lässt es sich aushalten!“ Oder man überlegt, ob der Name des Edelrestaurants (im Universal-Haus, Stralauer Allee 1) vom Wortspiel „Fischers Fritz“ kommt.
Als Vorspeise wird einem in der Karte die Geschichte einer Kunstfigur aufgetischt: Fritz Fischer war ein Playboy, kannte alle Jetsetter, Wirtschafts-, Medien- und CIA-Bosse. Und wenn man in seinen Mutmaßungen nicht weiterkommt („Könnte doch stimmen.“), sagt man einfach: „Na, ist ja auch egal!“, lächelt sich wieder an und wendet sich dem vorzüglichen Essen zu („Von meiner Kaninchensülze musst du unbedingt probieren!“). Köstlich dieser Fisch („Was ist eigentlich ein Bodensee-Egli?“), und das Kalbsfilet - so zart ...
Ich wusste gar nicht, wie umständlich Wein serviert werden kann! Damit meine ich nicht das Probier-Ritual, sondern, dass am Ende (am Anfang!) der Korken des Weines in einer Schlaufe des Plastikverschlusses des Flaschenhalses steckt. Genauso kompliziert! Nur besser.
Die angestrahlten großen Türme der Oberbaumbrücke, der Blick nach Kreuzberg (sehnsüchtig-nostalgisch), die netten, perfekt ausgebildeten Kellner (manchmal zerstreut statt zuvorkommend) --- „Du bist so wunderrrbarrr, Berlin!“
Wer sich oder seinen Gästen/Freunden/Liebsten etwas Gutes/Besseres/fastPerfektes antun (lassen) möchte, reserviert sich hier abends einen Tisch. Und kann dann auch getrost vor dem Hauptgang vom frischen Brot essen, weil die leckeren Speisen natürlich auf Qualität reduziert sind.
Danach Bonmots mit Pfirsichcreme oder einen Absacker in Kreuzberg 36. Nur keine schweren Anekdoten aus dem Siebenjährigen Krieg, auch keine Filmanalyse von „Japon!“ oder „Lichter“.
Dass es in den Freiluftkinos nachts wieder kühler wird, reicht an Tiefsinn vollkommen aus.

Dienstag, 5. August 2003

Stadtmitte umsteigen

Eine traurige Weise aus Weißgottrussland
Spielt Akkordeon im Untergrund.
Sie bettelt mit unaufhaltsamer Hand
Und starrt sich vergreiste Gedanken wund.
Vom Ich zum schluchzenden Schifferklavier
Zieht fahrendes Volk im Übergang.
Wer gibt was drauf, wer näh´rt sich ihr?
Die Zeit ist knapp, Gesichter lang.

Auf jeder Stirn zwei Senkrechtfalten –
Gespannte Saiten, die nicht klingen.
Das Geld reicht gerade zum Behalten.
Vielleicht versucht sie´s mal mit Singen.

Gesichtszüge – festgefahren statt entgleist
Im Tunnel zwischen U6 und U2.
Aber etwas bleibt im Ohr. Bis es heißt:
Die Bahn kommt. Zurückbleiben. Dann ist es vorbei.