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Donnerstag, 2. Januar 2003

046 | Silvester in Hamburg

Innerhalb der letzten 3 Tage mit dem Auto 1300 km zurückgelegt. Bei Sonnenschein, Regen, Schnee und – gestern – Blitzeis. Reicht erst mal. Das neue Jahr will ich nun etwas ruhiger angehen. Das alte ließ ich in Hamburg ausklingen, in einem großen Atelierraum eines ehemaligen E-Werks.
Wenn man bei 10 Leuten von einer Party sprechen kann, dann war es eine. Sehr entspannt und irgendwie das Beste, was ich von Silvesterpartys kenne. In den Fenstern standen unzählige brennende Kerzen. Es muss von den vorbeifahrenden S-Bahnen da draußen wunderschön ausgesehen haben; und ich war froh, auf dieser Seite der Fenster zu sein, an einer langen Tafel zu sitzen, umgeben von netten, jungen Menschen. Malern, Architekturstudenten, Designern, Fotografen ...
Es gab eine Minestrone, ein Fischcurry, eine Frucht-Mousse zum Dessert und natürlich jeder Menge Prosecco („Frivolino“!). Die Gastgeber hatten alles bis ins kleinste Detail liebevoll vorbereitet, von blühenden Deko-Zweigen bis hin zum Zigarrentischchen. Übrigens kommt es mir gar nicht mehr so befremdlich vor, wenn Frauen Zigarren rauchen. Nur küssen möchte ich sie nicht.
Dass Mitternacht immer näher rückte, war mir im Grunde egal; so wie mir irgendwann das Feuerwerk oder „Dinner for one“ egal wurde. Hauptsache Silvester eine Party und ab Weihnachten nicht allein. Der Rest findet sich. Bloß keine geklonten Rituale!
Zwischen den Menü-Gängen und verdaulichem Smalltalk bei Morcheeba-Musik hörte ich, wie eine spröde Blondine, die seit ein paar Jahren in Barcelona wohnt, über spanisches Essen sprach. Es ging gerade um eine helle Soße:
„Die sieht aus wie Sperma“, sagte sie. „Aber schmeckt eigentlich ganz gut.“
Dabei ihr etwas nüchternes Gesicht.
„Ach so“, entfuhr es ihrem irritiert schluckenden Tischnachbarn.
Dann fuhr die nächste S-Bahn vorüber.
In einer Atelierecke stand ein gelb-grünes Bild auf einer Staffelei. Es zeigte vier Knaben im Schlüpfer mit Sonnenbrille, die eine Höhlensonne umstanden, also den Prototypen einer Sonnenbank. Das Bild wurde wiederum von einem 50er-Jahre-Strahler angeleuchtet. Merkwürdig worauf Maler so kommen.
Später, bereits im neuen Jahr, durfte sich jeder aus der Schatzkiste des Künstlers ein „Bild“ aussuchen. Abstrakte Abfallprodukte, die jeden, der nicht genügend „Frivolino“ getrunken hatte, ein wenig verschämt dabei wirken ließ. Als wüsste niemand so recht, ob er sich für einen Gewinn oder eine Niete entschieden habe.
Um zwölf stießen wir mit Champagner an. Und ich kann sagen: Der frivole Prosecco hat mir besser geschmeckt.
Zu meinem Glück musste ich diesmal nicht die anderen Gäste umarmen oder vor das Haus, um frierend in den Himmel zu starren. Und als ich auf meinem Platz eingeschlafen war, weckte mich vorerst auch keiner, um mich zu fragen, was ich mir so vorgenommen habe für 2003. Man ließ mich einfach weiterträumen.

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