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Sonntag, 10. November 2002

042 | Straßenköter am Catwalk

Freitagabend 17.00 Uhr in der Kastanienallee 40. Eine befreundete junge Modedesignerin präsentierte in einem klitzekleinen Laden mit Überputzstromleitungen ihre erste Kollektion. Vorerst nur für Frauen. Der Stil lässt sich mit sachlich-streng, klassisch-antik, auch futuristisch und irgendwie androgyn umschreiben. Im Schaufenster ein Hochglanzposter mit Model: Der offene Blick wie eine rhetorische Frage, der sinnliche Mund hält bei der Antwort jedoch inne und bleibt geöffnet. Wie ein Geheimnis, wie die Jacke in Weiß. Auf das Wesentliche reduzierte Unschuld. Wenn darunter nicht diese verdammt kurzen Shorts wären ... Den bärtigen Penner, der sich eingeschlichen hat, scheren solche ästhetischen Dinge nicht im Geringsten, solange er sein frech aus dem Beck´s-Kasten gegriffenes Bier im Warmen genießen kann. Selbst das Getuschel der geladenen Gäste ignoriert er gekonnt und weiht die aufgebügelten Jacken, Kleider und Röcke mit dem Rauch einer Zigarette. Darauf angesprochen sagt der Weihepriester prophetisch: „Ich weiß! Ich weiß, dass hier nicht geraucht werden soll. Ich weiß!“ Und verschwindet. Dafür kommt ein anderer Schmarotzer ins Spiel, mit vom Trinken roter Gesichtsfarbe und vom Hunger üblem Mundgeruch. Er spricht sie alle an: Freunde, Mutter, Schwester und Freund der Designerin. Und die Künstlerin persönlich. Die Sachen gefallen ihm, ja, wirklich. Aber warum sie nichts für Männer mache. Die Jacke dahinten würde ihm gefallen, die mit dem hohen Kragen, wie für Kellner gemacht, müsste aber doch eine Nummer größer sein ... Er redet, er lacht, er nervt und merkt es nicht. Peinlich berührtes Lächeln nimmt er für Freundlichkeit. Ein kleines Kind quängelte im Hintergrund. Es wollte nach Hause, die Rothaut nicht. Aber ich war es, der ging. Der Abend war dunkel, aber jung. Und ich war noch verabredet. Ein wenig bedaure ich meine Mode schöpfende Bekannte. Nicht wegen überflüssiger Gäste, sondern weil sie nach monatelanger Konzeptionen und Ausführungen bis zum 7.12. im klitzekleinen Laden stehen und auf Käufer warten wird. Di - Fr von 12 - 20 Uhr und Sa von 12 - 16 Uhr. Und das in Zeiten allgemeiner Rezession. Sie steht somit neben Typen, bei denen die Welt so lange in Ordnung ist, wie noch irgendwer einen Kasten Bier spendieren kann, als Gegenpol, ist eine Art Allegorie für die nicht unterzukriegende berlintypische Innovation. Auch wenn der Hype von vor 3 Jahren einer Normalität gewichen ist. Glück wird sie gebrauchen können, ihre Sachen aber, die wirklich gut sind, werden für sich sprechen. Und für sie: Anuschka Hoevener.

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