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Dienstag, 18. Juni 2002

019 | Unter den Linden

Vor zwei Wochen suchte ich unter den Linden (oder besser: in der Straße unter den Linden) nach einer bestimmten Adresse. Der Tag war sommerlich, aber ich stand unter Zeitdruck. Ein Passant wies mir den Weg – und half mir doch nicht weiter: "Ja", sagte er, "das ist gleich da vorn, wo die Bäume sind!" Er meinte es ernst und gut; ich bedankte mich höflich. Nur gibt es zwischen Spree und Brandenburger Tor so viele Bäume wie schöne Frauen. Ich musste über drei Ecken an Heine denken, der vor 180 Jahren in der Nähe wohnte und dichtete:
"Ja, Freund, hier unter den Linden/ Kannst du dein Herz erbaun,/ Hier kannst du beisammen finden/ Die allerschönsten Fraun."
... und der schrieb:
"Als ich einst an einem schönen Frühlingstage unter den Berliner Linden spazierenging, wandelten vor mir zwei Frauenzimmer, die schwiegen, bis endlich die eine schmachtend aufseufzte: ‚Ach, die jrine Beeme!’ worauf die andre, ein junges Ding, mit naiver Verwundrung fragte: ‚Mutter, was gehn Ihnen die jrinen Beeme an?’"
Wie auch immer, ich fand mein Ziel, aber nahm mir vor, bei Gelegenheit wiederzukommen und mich ein wenig auf Spurensuche zu begeben, was Heine betrifft. Und das tat ich vor ein paar Tagen, ei bestem Wetter, mit einigen notierten Anhaltspunkten und seinen "Briefen aus Berlin" in der Tasche, die er mit 24 Jahren veröffentlicht hatte.
Im März 1821 kam er das erste Mal nach Berlin, als recht unbekanntes Talent, nicht mehr, nicht weniger. Göttingen, wo er sich bis dato noch mit Jura rumquälte, hatte ihn wegen eines Duells für ein halbes Jahr vom Studium ausgeschlossen. Und er schloss konsequenterweise Göttingen aus, die Provinz und eine Außenseiterrolle, in die man ihn, den Juden, gedrängt hatte. Zuerst stieg er im Nikoleiviertel ab, Hotel "Schwarzer Adler" in der Poststraße. Einen Teil der Straße gibt es noch immer, da wo jedoch das Hotel stand, ödet sich heute das Marx-Engels-Forum aus.
Kaum war der junge Romantiker im Herz und Haupt Preußens angelangt, ergriff ihn jene hektische Betriebsamkeit, die man rund um den S-Bahnhof Friedrichstraße immer noch vorfindet. Er schreibt sich an der Humboldt-Uni ein, geht in die gegenüberliegende Oper und besucht den Salon der Rahel Varnhagen, welcher sich nach einigen Umzügen in der Französischen Straße 20, Ecke Friedrichstraße, befand. In der Parallelstraße, Behrensstraße 71, nahm Heine nur einen Katzensprung entfernt Quartier. Sein "Vaterland" war jedoch der Salon, wo sich Chamisso, Hegel und Humboldt die Klinke in die Hand gaben.
Wenn der reiche Onkel wieder mal Geld überwiesen hatte, konnte man Heine in einem der Cafés unter den Linden treffen, zum Beispiel in der Konditorei von Teichmann, wo es die besten gefüllten Bonbons (gemeint sind sicherlich Pralinen) gab, aber die Kuchen zu fettreich waren. Oder er saß im "Café Royal", Ecke Charlottenstraße. E.T.A Hoffmann sah man dort auch so oft wie heutzutage Heino Ferch in der "Paris-Bar". Aber das lässt sich wohl nicht vergleichen. Hoffmann, "das kleine bewegliche Männchen mit den ewig vibrierenden Gesichtsmuskeln, mit den possierlichen und doch unheimlichen Gesten."
Schräg gegenüber befand sich das "Hôtel de Rôme" und links vom "Café Royal" das "Hôtel de Petersbourg", die zwei besten Gasthäuser der Stadt.
Das Gebäude des "Hôtel de Rôme" (Nr. 10) steht noch. Ob so ursprünglich wie zu Heines Zeit vermag ich nicht zu sagen. Oben die Galerie "Konvention", wo eben konventionelle, also gefällige Kunst ausgestellt wird. Unten, wo einst üppig gespeist wurde, befindet sich eine Buchhandlung ("Berlin Story"), welche sich auf preußische und DDR-Geschichte im Allgemeinen und Kunst und Kultur Berlins im Besonderen spezialisiert hat. Neben der Bücherschau kann man erfahren, dass sich später Kaiser Wilhelm von hier, vom seinerzeit besten Hotel der Stadt, regelmäßig die Badewanne ins Schloss kommen ließ. Wie das ausgesehen haben mag, kann sich jeder – ganz unkonventionell - selbst ausmalen. 1910 wurde aus dem Gebäude das Geschäftshaus "Römischer Hof", allerdings mit Schlosskonditorei. Und jetzt werden dort eben statt Baisers Bücher und Ölgemälde mit historischen Stadtansichten verkauft.
Wo sich gegenüber das "Hôtel de Petersbourg" befand, steht ein jüngeres, wenn auch wunderschönes Haus des Baumeisters G. Gause. Man muss nur einmal seinen Blick zum ersten Stock erheben, um es zu lesen. Das Gebäude ist gut und gerne über 100 Jahre alt und gehört der Preuss AG, die für "World of Tui" wirbt. Davor immerhin eines der heute wie damals einladenden (Straßen)Cafés. Nebenan das "Lindencorso", architektonisch eine Trutzburg mit gläsernen Mauern, hinter der VW´s glänzen.
Aber zurück zu Heine. Will man sich wenigstens den Ort ansehen, wo er 1821 wohnte, muss man wissen, dass aus der Behrensstraße 71 die Nr. 12 wurde. Die Suche wird allerdings durch die Tatsache erschwert, dass das riesige graue Haus Ecke Glinkastraße die zusammenfassenden Nummern 9-13 trägt. Auf jeden Fall schrieb er von hier aus am 29.12.1821 an Goethe: "Ich liebe Sie." Platonisch, versteht sich. Er hatte auf Anraten neugewonnener Berliner Freunde seinen ersten Gedichtband mitgeschickt. Aber der Herr Geheimrat nahm weder jetzt noch zweieinhalb Jahre später Notiz von dem überschwänglichen jungen Mann, der ihn in Weimar besuchte.
Ein paar Häuser weiter befindet sich in derselben Straße die "Komische Oper". Damals hieß sie "Comödienhaus" und führte 1774 Goethes "Götz" auf. Bei seinem einzigen, 5 Tage währenden Berlin-Besuch ging der Dichterfürst dort gleich nach seiner Ankunft hin, um dem Intendanten seine Aufwartung zu machen. Und war kaum älter als Heine später am gleichen Ort ...
Gegenüber und neben dem "Heinehaus", in der Behrensstraße 14, hängt ein großes Banner mit Napoleon-"N" im Fenster. Gute Aussichten für Heine, der den Korsen bewunderte. Hier befindet sich das Funduslager der "Komischen Oper". Ein Aushang kündigt dessen (Aus?)Verkauf an, u.a. Zylinder und Fräcke (welch Plural!), was genau das Richtige für (m)eine Zeitreise wäre. Aber es ist warm und die Gedanken sind ablenkbar kurzlebig. Hier Autos, da eine Schulklasse und dort – dort eine sonnenbebrillte Polizistin. Heine hätte sich seinen ironischen Reim auf sie gemacht. Damals sicher.
Er kam noch zweimal nach Berlin und hatte nach manch harmonischen Stunden auch eine handgreifliche Auseinandersetzung mit dem anarchischen Dichter Grabbe, obwohl er seine Texte mochte. Im Café "Stehely" am Gendarmenmarkt. Und er ging mit zur Beerdigung E.T.A. Hoffmanns, den er kurz zuvor noch im Weinkeller von Lutter & Wegener, Charlottenstraße 32, getroffen hatte. Die Anfangseuphorie relativierte sich zum Ende und er dichtete im Weggang:"Verlaß Berlin, mit seinem dicken Sande/ Und dünnen Tee und überwitz´gen Leuten,/ Die Gott und Welt, und was sie selbst bedeuten,/ Begriffen längst mit Hegelschem Verstande ..." Und er wusste, dass die Alternativen zu Berlin in Deutschland doch noch dünner als Tee sind. Damals wie heute. Ein Grund mehr also zu bleiben.

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