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Sonntag, 19. Mai 2002

017 | Rheinsberg // Zechliner Hütte

Wer das erste Mal nach Rheinsberg fährt, sollte nicht groß im Reiseführer blättern, sondern Tucholskys gleichnamige Geschichte lesen, das genügt als Motivation vollkommen. Und dann darf man natürlich nicht allein fahren und es muss an einem sonnigen Maitag sein. So wird man – wie ich - immer wieder kommen.
Also bin ich gestern einmal mehr die B96 hoch. Natürlich Landstraße, weil der Raps blüht und die Linden über den Autos weitaus bessere Gewölbe bilden als die verblichener Baumeister in winterlichen Kirchen.
Am Straßenrand werden vor märkischer Dorfkulissen Kartoffeln, Eier und Beelitzer Spargel angeboten. Ich genieße diese Fahrt, als hätte ich über ein halbes Jahr darauf warten müssen.
In Rheinsberg verläuft die Zufriedenstellung der Touristen so reibungslos wie bei McDonald´s, nur eben mit Flair. Das Hauptklientel besteht aus 50-jährigen, die es zu etwas gebracht haben und Senioren, die das Meiste schon hinter sich ließen. Mit Geh-Hilfen oder offenen Zweispannern bewegen sie sich durch den lauschigen Ort oder sitzen in einem der Straßencafés. Für alles ist bestens gesorgt, selbst im Fenster eines Bestattungsunternehmers liest man: "Wir sind immer für Sie da!"
Einen guten Blick auf das pfingstliche Treiben hat man vom Ratskeller aus bei einer Berliner Weißen. Oder vom gegenüber liegenden Schloss, wo der junge und später alte Fritz etwas skeptisch und sprachlos, weil er nichts mehr zu sagen hat, von seinem steinernen Sockel schaut. Ein Kommen und Gehen wie vor einem Bienenstock. Innerhalb einer Stunde hupen sich 3 Hochzeitsgesellschaften an den riesigen blühenden Kastanien vorbei und die Senioren winken ihnen nostalgisch nach, obgleich sie es eigentlich besser wissen müssten.
Dann plärren sie sich wieder von Tisch zu Tisch etwas zu, halten den Augenblick, ihren Partner mit der Videokamera beim Spargelessen oder sich einfach nur am Bier fest wie 5 junge Männer mit freiem Oberkörper.
Der Spargel im Ratskeller ist übrigens butterweich, wohl weil er in Buttersoße zu ertrinken droht.
Direkt am Grienerick-See, der Verlängerung des Rheinsberger Sees, dampft der Schlot von "Eikes Fischräucherei" wie eh und je. Und so sichere ich mir in Form einer goldbraunen Forelle gleich mein Abendessen.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz stelle ich verblüfft fest, dass es in ländlichen Gegenden tatsächlich noch Schaufenster mit oranger Sonnenschutzfolie gibt.
Dann geht es weiter Richtung Zechliner Hütte. Nach einer Holperfahrt durch den Wald halte ich an einem versteckt liegenden See, wo ich vor einigen Jahren recht passable Karpfen gefangen habe. Mit dem Aufsprühen des Mückenschutzes ist es die pure Idylle: Ein Bussard über dem Wasser, Sonnenflecken großzügig über Blaubeersträucher verteilt, junges, triebhaftes Grün. Und – an dieser Stelle sei mir Feierlichkeit vergönnt – ich höre den Atem des Lebens hinter der Ruhe, es klingt metaphysisch und ist doch real: die Bäume knacken ganz leise, weil ihre alte Rinde von den neu erwachten Säften gesprengt wird. Das Gras kann man also nicht wachsen hören, aber den Wald vor lauter Bäumen! Und diesem unmerklich wiederkehrenden Rhythmus ist der vielfältige Gesang der Vögel geweiht. Eine Akustik, von der sich Städter, die nicht mehr als Amselgezwitscher kennen, keine Vorstellung machen. Aber man muss es erlebt haben, so wie den Käuzchenruf in der Nacht. Der ist nämlich nur in Kriminalfilmen als spannungssteigerndes Mittel so tot wie ein ahnungsloses Opfer. Vom Auto aus, in dem ich übernachte, bin ich nah dran am Geheimnis der Schöpfung, denke ich beim Einschlafen.
Doch bevor es Nacht wird und das Wetter umschlägt, angle ich mit einer Stippe, die ich als Kind von meinem Vater geschenkt bekam, nach Plötzen und Güstern, also nach kleinen Fischen, das reicht, und ich lote das Angeln als Metapher aus, genieße die meditative Ästhetik, wenn die Pose in dem spiegelglatten See eintaucht und sehe den sich in der Luft paarenden Libellen hinterher. Später schwimme ich zwischen Seerosenblättern im sommerlich warmen Wasser.

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