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Mittwoch, 24. April 2002

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Obwohl ich weiß, was ich generell vom April zu halten habe, sagte ich mir an jedem sonnigen Tag, dass er nun vollends da sei, der Frühling. Und so stellte ich unlängst auch meine einzige Topfpflanze, eine geschenkte Palme, raus auf den Balkon. Denn sie sah ein wenig blass aus. Mag es nun am intensiven Licht oder Regen gelegen haben, auf jeden Fall hatte sie etwas nicht vertragen und macht nun einen vollends kranken Eindruck. Womit mir wieder klar wurde, dass ich für kulinarisch wertloses Grünzeug kein Händchen habe. Aber egal. Um diesem herbstlichen Anblick jedenfalls zu entkommen, schwang ich mich am Sonntag aufs Rad und jagte in die City. Doch Floras Rache ereilte mich bereits an der Spree und strafte mich mit einem platten Vorderrad wegen der Palme ab. Also Schieben und Zwangsmuße. Es gibt Schlimmeres an Sonntagen.
Hinter der Friedrichbrücke legte ein Ausflugsdampfer ab. "Nostalgie" stand groß an den Seiten. Dahinter versperrt bald der im Entstehen begriffene "Aquadom" den rückwärts gewandten Blick. Aber noch ragen die Doppeltürme der Nikoleikirche und der "Vodafone"-rot verhängte Kuppelturm des Stadthauses keck in die Berliner Luft. Was befand sich vorher an der Stelle? Ach ja, das Palasthotel, zu dem nicht jeder Zugang hatte. Somit gab es keine persönlichen Bezüge und Volksproteste vor der Plattmachung wie beim (noch stehenden) Palast der Republik. Neues kommt, Altes geht, in Berlin eben ein wenig schneller als anderswo. Davon lebt die Stadt der Avantgarde schließlich, auch wenn sie – wie jeder Avantgardist – fürs Leben eigentlich zu wenig Geld hat. Aber Berlin hat seine Touristen, die am Gendarmenmarkt auch schon mal 4,- Euro für einen Milchkaffee bezahlen und sich höchstens beschweren, wenn jemand mit der Sammelbüchse ihre Sonnenbrillenfraktion aufstört. Doch ein Straßenmusikant mit Geige, Akkordeon, Horn oder gar chinesischer Nervensäge wird sie wieder in die "Ach ja, schön!"-Stimmung bringen. Entspannt sehen sie dann auf die Fassade des Französischen Domes, denken an die Schifffahrt mit der "Nostalgie" zurück, denken an die Grünpflanzen zu Hause, die von der Nachbarin gegossen werden und blicken an dem jungen Mann vorbei, der sein Fahrrad schiebt, statt in den bezaubernden Tag zu fahren.

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